A. Szenario
Ein junges Paar möchte aufgrund der eingeschränkten Fertilität eines Teils eine Kinderwunschbehandlung in Form einer In-vitro-Fertilisations-Behandlung in seinem Heimatland in Anspruch nehmen. Im Rahmen der In-vitro-Fertilisations-Behandlung werden überzählige Embryonen gewonnen, welche auf Grundlage einer informierten Einwilligung beider Zellgeber*innen für eine eventuelle spätere Behandlung kryokonserviert werden. Einige Jahre später erhält die Frau die Diagnose über ein Zervixkarzinom. Die ursprüngliche In-vitro-Fertilisations-Behandlung blieb bisher erfolglos. In Folge der Karzinom-Diagnose wird das weitere Vorgehen der Behandlung besprochen; eine parallel verlaufene assistierte Reproduktionsmaßnahme, zum Beispiel durch die Implantation eines der überzähligen kryokonservierten Embryonen, ist nicht möglich. Während der laufenden Karzinombehandlung wird das Paar von der Kinderwunschklinik schriftlich darüber informiert, dass die Kryokonservierungsfrist der aufbewahrten Embryonen in den nächsten Monaten ausläuft und rechtlich keine Möglichkeit zur Verlängerung besteht. Nach Ablauf der insgesamt zehn Jahre würden die kryokonservierten Embryonen verworfen. Das Paar sieht sich nun damit konfrontiert, zwischen der Implantation des Embryos/der Embryonen einerseits und einer Zerstörung andererseits sowie der weiteren Karzinombehandlung der Frau abzuwägen.
B. Problemaufriss
Das voranstehend beschriebene Szenario stellt eine häufiger auftretende Situation von Frauen bzw. Paaren dar, die sich im Laufe ihrer reproduktionsfähigen Jahre einer Diagnose und damit einhergehenden medizinischen Behandlung aussetzen müssen, die ihre Reproduktionsfähigkeit mindert oder gar aufhebt und eine direkte Folge für die Realisierung des eigenen Kinderwunsches haben kann. Insbesondere wenn im Rahmen der Inanspruchnahme einer Kinderwunschbehandlung durch assistierte Reproduktionstechnologien (ART) überzählige Embryonen entstehen, können diese für weitere Implantationsversuche des Paares kryokonserviert werden und stellen damit eine bedeutende Chance für den Kinderwunsch der betroffenen Personen dar. Dabei sieht die Rechtslage verschiedener europäischer Jurisdiktionen teilweise klare Fristen und Voraussetzungen für die Aufbewahrung von Embryonen durch Kryokonservierung vor.[1] Mit Blick auf diese Regelungen verschiedener Länder im europäischen Raum fällt auf, dass gravierende Unterschiede hinsichtlich der Lagerungsdauer und -möglichkeiten von Embryonen bestehen und diese Divergenz willkürlich erscheint, insbesondere in Hinblick auf die schwerwiegenden Folgen für die betroffenen Personen. Dieser Beitrag soll die divergierenden Aufbewahrungsfristen von Embryonen in den unterschiedlichen Ländern sowohl aus einer ethischen als auch aus einer rechtlichen Perspektive vergleichend in den Blick nehmen und der Frage nach dem Erfordernis der Existenz von Aufbewahrungsfristen für Embryonen nachgehen. Dabei beschränkt sich dieser Beitrag aufgrund seiner Kürze auf eine Darstellung der Fristen für folgende Länder: Deutschland, Österreich und das Vereinigte Königreich. Außerdem soll bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass dieser Beitrag nicht sämtliche zu diesem Forschungsfeld aufkommenden Fragen beantworten kann, sondern vielmehr eine Übersicht zu bearbeitender Fragestellungen und einen Umriss der Kernproblematik geben soll.
I. Grundlagen und Abgrenzung
Bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) handelt es sich um eine Form der künstlichen Befruchtung. Einer Frau werden hierfür nach einer hormonell vorbereitenden Behandlung befruchtungsfähige Eizellen entnommen. Sodann erfolgt die Befruchtung mit den Samenzellen des Partners extrakorporal in einem Reagenzglas (in vitro); die Eizellen wurden zuvor in eine Nährlösung gegeben.[2] Als Ergebnis dieser Befruchtung wird die Entwicklung eines oder mehrerer Embryonen angestrebt, welche anschließend der Frau transplantiert werden. Gemäß § 8 Abs. 1 des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) gilt als Embryo die bereits befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich beim Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag.[3] Entstehen im Rahmen der IVF-Behandlung Embryonen, welche nicht transplantiert werden, können diese in einigen Rechtskreisen unter den jeweils geltenden Bestimmungen für spätere Implantationsversuche kryokonserviert werden. „Die Kryokonservierung bezeichnet die zu Aufbewahrungszwecken erfolgende Konservierung von Zellen und Gewebe durch Einfrieren in flüssigem Stickstoff.“[4] Dabei wird zumeist das Verfahren der Vitrifikation angewendet, bei welchem die Zellen in kürzester Zeit auf -196 Grad Celsius gekühlt werden und die Embryonen zuvor in ein Kryoprotektivum gegeben werden, um schädliche Kristallisierungsvorgänge zu vermindern.[5]
II. Die Rechtslage zu Aufbewahrungsfristen von Embryonen verschiedener Nationen
Nachfolgend soll die derzeitige Rechtslage zu den Aufbewahrungsfristen kryokonservierter Embryonen dargestellt werden. Mit Bezugnahme auf eine historische Entwicklung der rechtlichen Ausgestaltung soll auf die Regelungen Deutschlands, Österreichs und des Vereinigten Königreiches eingegangen werden.
1. Deutschland
Das zum 01. Januar 1991 in Kraft getretene ESchG enthält derzeit hinsichtlich der Aufbewahrungsfristen von kryokonservierten Embryonen keine konkrete Frist. Die Kryokonservierung von Embryonen an sich wird überwiegend als zulässig erachtet.[6] Die Lagerung ist mithin ohne zeitliche Begrenzung möglich, was den betroffenen Frauen und Paaren hinsichtlich der Entscheidung der zeitlichen Verwendung einen großen Spielraum ermöglicht. Hieraus lässt sich nicht ohne Weiteres ein Argument für den Reformbedarf des ESchG erkennen, welcher aus den Reihen der Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten aufgrund seiner Ausgestaltung als Strafgesetz sowie des Alters und der Widersprüchlichkeit seiner Regelungen lauter wird.[7] Durch eine deutliche Regelung bzgl. der Lagerungsbedingungen sowie -dauer von Embryonen würde allerdings ein höheres Maß an Rechtssicherheit für die Betroffenen hergestellt werden können. Dies widerspräche zumindest aktuell der Ausgestaltung als strafrechtliches Nebengesetz, welches in Form des ESchG mit seinem repressiven Charakter pönalisierende Gebots- bzw. Verbotsnormen aufstellt.
Hinsichtlich des praktischen Ablaufs der Kryokonservierung von Embryonen in Deutschland lässt sich festhalten, dass das ESchG bzgl. der Gewinnung und Transplantation von Eizellen bzw. befruchteten Eizellen Regelungen enthält: § 1 ESchG sieht keine mengenmäßige Grenze hinsichtlich der Gewinnung von Eizellen vor. Sodann dürfen allerdings aufgrund des Wortlautes von § 1 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 5 ESchG nur drei Eizellen befruchtet werden. Dies entspricht ebenfalls der Intention des Gesetzgebers, der Produktion überzähliger Embryonen entgegenzuwirken, sodass eine davon divergierende Auslegung dem Wortlaut widersprechen würde.[8] Denn gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 ESchG dürfen maximal drei Embryonen je Zyklus übertragen werden. Damit soll das von höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften ausgehende Risiko begrenzt werden.[9] Dabei wäre ebenfalls der Weg des Single-Embryo-Transfers ein denkbares Mittel, allerdings sinkt damit die Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Herbeiführung einer erfolgreichen Schwangerschaft, sofern der Weg des elektiven Single-Embryo-Transfers nicht offen steht.[10] Aufgrund der angerissenen Problematiken und Widersprüche, die in den aktuellen Regelungen des ESchG enthalten sind, erscheint eine einfachgesetzliche Regelung unter anderem bzgl. der Möglichkeiten und Grenzen der Kryokonservierung von entwicklungsfähigen Zellen, beispielsweise im Rahmen eines Fortpflanzungsmedizingesetzes, interessengerecht und wünschenswert. Durch sie könnten neben zivil- und öffentlichrechtlichen Einflüssen ebenfalls berufsrechtliche Vorschriften getroffen werden; auf einen entsprechenden Abschnitt zu an gewisse Handlungen geknüpften Straf- und Bußgeldvorschriften müsste nicht verzichtet werden.
2. Österreich
Die derzeitige Rechtslage in Österreich sieht vor, dass gemäß § 17 Abs. 1 S. 2 des Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedG) entwicklungsfähige Zellen höchstens zehn Jahre aufbewahrt werden dürfen. Dabei wird zusätzlich aufgrund des Wortlautes klargestellt, dass die Aufbewahrung in einer nach § 5 Abs. 2 S. 2 und S. 3 FMedG zugelassenen Krankenanstalt zu erfolgen hat. Ferner hat die Aufbewahrung nach § 17 Abs. 1 S. 3 FMedG dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik zu entsprechen. Entwicklungsfähige Zellen werden gemäß § 1 Abs. 3 FMedG als befruchtete Eizellen und daraus entwickelte Zellen definiert. § 17 FMedG, welcher die Aufbewahrung von Samen, Eizellen, Hoden- und Eierstockgewebe sowie entwicklungsfähigen Zellen regeln soll, wurde in den vergangenen Jahren einigen Anpassungen unterzogen. Während ab Inkrafttreten des FMedG am 01. Juli 1992 in seiner ursprünglichen Form die Aufbewahrung von Samen, Eizellen sowie entwicklungsfähigen Zellen für höchstens ein Jahr möglich war,[11] wurde 2004 der Wortlaut der Norm dahingehend geändert, dass die Lagerung von Samen und Eizellen fortan ohne zeitliche Begrenzung möglich war und die Lagerungsdauer von entwicklungsfähigen Zellen auf höchstens zehn Jahre ausgedehnt wurde.[12] Bereits während der Beratungen zur Novelle des FMedG durch Regierungsvorlage im Jahre 2004 wurde ein Bericht des Justizausschusses vorgelegt, welcher auf die prekäre Situation von Patient*innen mit einer Karzinomdiagnose sowie anderen Leiden in Verbindung mit einem unerfüllten oder bestehenden Kinderwunsch hinweist und denen durch die entsprechende Novelle gerecht geworden werden sollte.[13] Spätere Änderungen des Wortlauts von § 17 FMedG in den Jahren 2015 und 2018 beinhalteten keine Änderungen hinsichtlich der Lagerungsdauer. Damit besteht in Österreich derzeit die Situation, dass die Kryokonservierung von entwicklungsfähigen Zellen rechtlich möglich ist, sich die Aufbewahrung aber auf eine einfachgesetzliche Frist von zehn Jahren beschränkt und keine Möglichkeit zur Verlängerung besteht.
3. Vereinigtes Königreich
Im Vereinigten Königreich wiederum stellt sich die Rechtslage hinsichtlich der Lagerungsdauer von Embryonen zu oben genannten Beispielen abweichend dar. Bis 2022 war es Frauen aus rein ‚sozialen‘ Gründen, die keine medizinische Notwendigkeit einer reproduktionsmedizinischen Behandlung aufwiesen, gemäß Section 14 (3) des Human Fertilisation and Embryology Act (HFEA) aus 1990 möglich, Eizellen für die Dauer von zehn Jahren zu kryokonservieren. Bestand hingegen eine medizinische Notwendigkeit für die Inanspruchnahme fortpflanzungsmedizinischer Behandlungsmöglichkeiten und Angebote, war der Lagerungsdauer zwar eben solche Grenze von zehn Jahren gesetzt, allerdings konnte die Dauer bei Vorliegen der entsprechenden Gründe auf eine Lagerungszeit von bis zu 55 Jahren verlängert werden.[14] Die Lagerungsdauer von Embryonen war gemäß Section 14 (4) HFEA für fünf Jahre vorgesehen. Doch aufgrund eben dieser zeitlichen Begrenzung und der Verknüpfung der Verlängerung der Aufbewahrungsfristen mit gesundheitlichen bzw. medizinischen Gründen regte sich Widerstand. Die #ExtendTheLimit-Kampagne des Progress Educational Trust (PET) hatte sich zum Ziel gesetzt, die Lagerungsdauer für Gameten und Embryonen im Rahmen des sog. „Social-Freezings“ zu entfristen.[15] Einerseits sollten Frauen nicht vor die Wahl gestellt werden, ihre Embryonen zerstören zu lassen (mit gar ihrer einzigen oder besseren Chance auf eine erfolgreiche Schwangerschaft) oder durch Implantation oder Spende zu verwenden und andererseits wurde angeführt, dass eine Befristung der Lagerung auf zehn Jahre ethisch problematisch sei, da sich Meinungen über die Verwendung ändern könnten und dies die reproduktive Selbstbestimmung unnötig und willkürlich einschränken würde.[16] Zum 01. Juli 2022 trat der Health and Care Act (HCA) in Kraft, mit welchem relevante Änderungen an den ursprünglichen Regelungen des HFEA aus 1990 vorgenommen wurden. Die bereits erwähnte lizensierte Aufbewahrung von Gameten und Embryonen sah von 1990 bis 2008 eine Frist von zehn Jahren für Gameten und eine Frist von fünf Jahren für Embryonen vor. Mit dem Human Fertilisation und Embryology Act aus 2008 wurden die Aufbewahrungsfristen beider Zellarten auf jeweils zehn Jahre angeglichen. Seit dem 01. Juli 2022 können Gameten und Embryonen nun für jeden Zeitraum bis hin zu 55 Jahren vom ersten Tag ihrer Kryokonservierung an gelagert werden. Eine dahingehende Einwilligung muss von beiden Zellgeber*innen alle zehn Jahre erneuert werden, um den Status einer rechtmäßigen Lagerung der Embryonen aufrecht zu erhalten und ihrer Zerstörung entgegen zu wirken.[17] Die Verlängerung der Aufbewahrungsfrist auf 55 Jahre[18] soll dabei eine intrafamiliäre Eizell-Spende ermöglichen.[19] Außerdem wurde durch den HCA unter Section 14 (3) (c) eingefügt, dass wenn Embryonen nicht zu reproduktionsmedizinischen Zwecken, sondern zu Forschungs- oder Trainingszwecken kryokonserviert und aufbewahrt werden, die Frist hierfür zehn Jahre ab dem Tag der Einwilligung beträgt.
4. Folgen für das Ausgangsszenario
Aufgrund zuvor dargestellter Rechtsrahmen in Deutschland, Österreich und dem Vereinigten Königreich würde sich für das betroffene Paar folgende Situation ergeben: In Österreich würde die Verwerfung der Embryonen nach Ablauf der zehn Jahre drohen und es bestünde keine Möglichkeit, diese Frist zu verlängern. Hätte das Paar die IVF-Behandlung und Kryokonservierung der gewonnenen Embryonen im Vereinigten Königreich verfolgt, wären die Embryonen zu einem Zeitpunkt vitrifiziert worden, an welchem noch eine gesetzliche Frist von zehn Jahren bestand, allerdings mit der Möglichkeit auf eine Verlängerung der Frist bei Vorliegen der entsprechenden Gründe. Da sich unterdessen allerdings die Rechtslage verändert hat und es für die Anwendung der 55 Jahre auf den ersten Tag der Kryokonservierung der Zellen ankommt, würden noch weitere 45 Jahre der Aufbewahrung rechtlich möglich sein, sofern beide Zellgeber*innen ihre Einwilligung in die Aufbewahrung der Embryonen alle zehn Jahre erneuern und nicht widerrufen. Schließlich wäre bei Verfolgung des Anliegens in Deutschland keine gesetzliche Frist für die Aufbewahrung vorgeschrieben, allerdings müsste ebenfalls die Einwilligung aufrechterhalten werden. Außerdem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Kryokonservierung der Zellen praktisch durch einen privatrechtlichen Vertrag vereinbart wird, welcher wiederum ebenfalls zeitliche Begrenzungen der Aufbewahrung oder Voraussetzungen an die weitere Kryokonservierung der Zellen stellen kann.[20]
III. Widerstreitende Interessen und Rechte
Betrachtet man die oben dargestellten Rechtsrahmen für Aufbewahrungsfristen von Embryonen vergleichend, kann zunächst einmal lediglich festgestellt werden, dass sie divergieren. Doch welche Interessen und Rechte stehen hinter diesen Regelungen? Zum Einen bestehen verfassungsrechtlich verankerte Schutzgüter der Zellgeber*innen, so zum Beispiel maßgeblich das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung. Dieses wird am Beispiel Deutschlands aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) hergeleitet.[21] Hinsichtlich der Zellgeber*innen spielt ebenfalls das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) eine Rolle. Auf der anderen Seite stehen die Interessen und Rechte des Embryos, welcher ebenso zu betrachtender Teil des Kryokonservierungsverfahrens und den daraus folgenden Aufbewahrungsfristen ist. An die hoch umstrittene Frage des Status eines Embryos knüpft sich selbstverständlich die Frage nach der Menschenwürdegarantie sowie des Schutzes von Leben und Gesundheit. Gleichzeitig sind aber auch der Schutz des Embryos vor missbräuchlicher Verwendung, die Vermeidung einer Überzahl verwaister Embryonen sowie die nicht einheitlich bewertete Frage der Verwendung von Embryonen zu Forschungszwecken als zu schützende Interessen zu benennen. Außerdem kann als mögliche Folge der Entwicklung eines Embryos ebenfalls das Kindeswohl als Schutzinteresse aufgezählt werden.
IV. (Sozio-)Ethische Elemente und Konflikte
Aus den bisherigen Darstellungen wird deutlich, dass Aufbewahrungsfristen für Embryonen einen erheblichen Einfluss auf die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen bzw. Paaren haben und es für die Abwägung der betroffenen Rechtsgüter fundierte Begründungen braucht. Dabei wird der rechtliche Rahmen fortlaufend von einem gesellschaftlichen Diskurs begleitet. Des Weiteren sind ethische Grundsätze heranzuziehen und zu beleuchten. Sich an Jellinek orientierend, kann die rechtliche Normierung als Versuch der Identifikation eines ethischen Minimums verstanden werden.[22] Die Fragestellung der (medizin-)ethischen Bewertung der Aufbewahrungsfristen für Embryonen soll dabei anhand der von Beauchamp und Childress begründeten Prinzipienethik skizziert werden.[23] Auf Grundlage dieser Prinzipien lassen sich folgende Argumentations- und Bewertungsfelder herausstellen: der Respekt vor der Autonomie, (soziale) Gerechtigkeit, die Fürsorge und das Patient*innenwohl sowie die Schadensvermeidung.
Der Respekt vor der Autonomie äußert sich darin, dass die Zellgeber*innen jederzeit über die Aufbewahrung ihrer Embryonen frei entscheiden können sollten, und dies durch eine umfassende Aufklärung sowie informierte Einwilligung (mit der Möglichkeit zum jederzeitigen Widerruf) sichergestellt werden würde. Im Rahmen der Aufklärung sollte nicht nur auf die Chancen, Risiken und Folgen einer Kryokonservierung eingegangen werden, sondern es sollte außerdem unbedingt und ausdrücklich auf das Vor- oder Nichtvorliegen einer Aufbewahrungsfrist und ihre Höchstdauer eingegangen werden. Außerdem sollten beide Zellgeber*innen schriftlich vereinbaren, was im Todesfall einer der Zellgeber*innen oder bei einer Trennung oder Scheidung mit den gemeinsamen Embryonen geschehen soll. Wo dies möglich ist, sollte ebenfalls schriftlich festgehalten werden, ob die Embryonen im Fall der Nichtimplantation der Spende offen stehen oder gar zu Forschungszwecken verwendet werden dürfen. Ebenfalls ist es als autonomiewahrend anzusehen, dass im Falle des Widerrufs oder des sonstigen Verlustes der Einwilligung in die Aufbewahrung das Ende der Aufbewahrung allen Beteiligten umgehend schriftlich angezeigt wird und eine Frist vorgesehen wird,[24] falls eine Entscheidung widerrufen werden sollte oder sich weitere Konstellationen ergeben, die die Unumkehrbarkeit einer Verwerfung betreffen würden und eben diesem Risiko damit Rechnung getragen wird. Während das Prinzip des Respektes vor der Autonomie anhand des Einzelfalls zielgenau formuliert werden kann, lässt sich die (soziale) Gerechtigkeit an unterschiedlichen Gruppierungen bemessen. Einerseits kann man den Kreis der weiblichen oder männlichen Zellgeber*innen getrennt betrachten, daneben ist auch die Gruppe der Zellgeber*innen insgesamt als Gruppierung anzusehen. Ferner könnte man über einen grenzüberschreitenden Ansatz nachdenken. Als Kriterium der Gerechtigkeit ist maßgeblich die Teilhabe an und der Zugang zu reproduktionsmedizinischen Maßnahmen und der Kryokonservierung von Gameten und Embryonen zu werten. Speziell hinsichtlich der Aufbewahrungsfristen von Embryonen könnte argumentiert werden, dass ähnliche Voraussetzungen und Bedingungen gelten müssen. An dieser Stelle ist allerdings fraglich, ob ein beispielsweise grenzüberschreitender Vergleich zielführend ist. Nur durch das Bestehen einer Divergenz von Aufbewahrungsfristen in europäischen Nationen kann nicht automatisch auf ihre Rechtswidrigkeit geschlossen werden. Außerdem kann ein gesellschaftlicher Konsens bei einem derart fragilen und heiklen Thema nicht ohne nähere Betrachtung und Forschung angenommen werden – vermutlich wird der Status von Embryonen auch weiterhin divergierend bewertet werden, wodurch das Herausstellen eines ethischen Minimums herausfordernd erscheint. Allerdings muss eine Norm dazu geeignet und erforderlich sein, das legitime Ziel des Schutzes von Rechtsgütern zu verfolgen und dabei die Angemessenheit wahren. Erheblich auseinanderfallende Aufbewahrungsfristen erscheinen in dem Rechtsraum der EMRK bzw. der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCH) zumindest als starkes Indiz dafür, dass die Abwägung der betroffenen Rechtsgüter trotz einer gemeinsamen Rechtsbasis erklärungsbedürftig voneinander abweicht.
Hinsichtlich der Schadensvermeidung und des Patient*innenwohls können unterschiedliche Perspektiven für die Bewertung eingenommen werden: Einerseits wird hinsichtlich der Schadensvermeidung auf die Risiken der Embryonen einzugehen sein und andererseits sind die gesundheitlichen Risiken der Empfängerin der Embryonen in den Blick zu nehmen. Doch nicht nur physische Risiken sind dabei zu betrachten, sondern ebenfalls psychische Folgen. So wird hinsichtlich der Forderung eines Bestehens von Aufbewahrungsfristen angeführt, dass die Vermeidung von Generationssprüngen verfolgt werden muss und außerdem psychische Gefahren bei dem Kind als möglich erachtet werden, wenn es später erfährt, dass es jahrelang (oder eben auch bedeutend länger) als Embryo kryokonserviert war.[25] Ferner war lange Zeit nicht klar, welche negativen Folgen durch eine jahrzehntelange Kryokonservierung für den Embryo entstehen können. Auch ist an dieser Stelle nicht außer Acht zu lassen, dass z. B. das Risiko von Mehrlingsschwangerschaften bei der Implantation von mehreren Embryonen steigt und mithin das gesundheitliche Risiko während der Schwangerschaft an sich erhöht ist sowie das Risiko eines Aborts für die Frau steigt.[26] Ferner kann ein erhöhtes Risiko für den Embryo und die Frau bestehen, wenn der Embryo nach längerer Lagerungsdauer implantiert wird und während der Lagerungsdauer das Alter der Frau gestiegen ist, sodass eine Schwangerschaft medizinisch als risikobehafteter angesehen wird. Dem könnte man zum Beispiel damit entgegenwirken, dass man die Aufbewahrung an keine konkrete Frist in Monaten oder Jahren knüpft, sondern die Aufbewahrung von Embryonen an das Reproduktionsalter der Frau knüpft.[27] Wiederum in Rechtskreisen, wo die Möglichkeit einer Embryonenspende eröffnet ist, sollten noch andere Fristen als eine Verknüpfung mit dem Reproduktionsalter diskutiert werden. Gleichzeitig kann nicht unterschlagen werden, dass verschiedene Fristen und ihre Folgen einen erheblichen Einfluss auf die reproduktive Selbstbestimmung der Frau haben und die Realisierung des Kinderwunsches zum Zeitpunkt ihrer Wahl ein Ausdruck dessen ist bzw. sein muss.
Letztlich können die widerstreitenden Interessen und Rechte in unterschiedliche Kategorien unterteilt werden und insbesondere auch aus interdisziplinärer Sicht verschieden gewertet, gewichtet oder gar aufgelöst werden. Am Beispiel der Frage, ob es überhaupt einer Regelung der Aufbewahrungsfristen für entwicklungsfähige Zellen bzw. Embryonen bedarf, könnte zusammenfassend zu oben aufgeführten Konflikten und Argumenten aus ethischer Perspektive beispielweise angeführt werden, ob eine zeitliche Aufbewahrungsbegrenzung tatsächlich dem Schutz eben dieser Zellen zu Gute kommt, oder gar ein zusätzliches Risiko darstellt. Denn durch die informierte Einwilligung in die Aufbewahrung samt ihrer zeitlichen Begrenzung wird den Zellgeber*innen zwar einerseits die zeitliche Endlichkeit verdeutlicht, gleichzeitig geht mit ihr jedoch der Fall der potentiellen Zerstörung automatisch einher; zumindest im Falle der Nicht-Implantation. Des Weiteren kann und darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Ausuferung der Lagerung von Embryonen ohne Verwendungsmöglichkeit vermieden werden sollte.[28] Die hinter der Fragestellung stehenden Interessen umfassen allerdings nicht nur die bereits erwähnten Rechtsgüter aller Beteiligten, sondern insbesondere die freie zeitliche Gestaltung der eigenen Reproduktion, die freie zeitliche Verwendung der eigenen Embryonen, ebenso wie die Vermeidung der Zerstörung von Embryonen. Denn es erscheint zum Schutz von Embryonen widersprüchlich, diese zu diesem Zwecke zu zerstören.
C. Zusammenfassung und Ausblick
Zumindest derzeit und anhand der gewählten Rechtskreise divergiert die Regelungslage hinsichtlich der möglichen Aufbewahrungsdauer von Embryonen und entwicklungsfähigen Zellen bereits in diesem kleinen Sample; ein kursorischer Blick auf andere europäische Staaten lässt vermuten, dass sich auf dem Spektrum zwischen null und 55 Jahren eine eher breite Verteilung als eine Clusterung ergeben würde. Daraus ergeben sich diverse ethische sowie rechtliche Fragen, die nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können. Stellt ein Auseinandergehen der Regelungslage in unterschiedlichen europäischen Ländern tatsächlich ein Problem dar? Gibt es eine Regelung, die als Ideallösung angesehen werden kann? Braucht es überhaupt Aufbewahrungsfristen und wenn ja, wie sind sie moralisch und rechtlich zu begründen und zu quantifizieren? Kann durch eine Befristung der Aufbewahrung tatsächlich den antizipierten gesellschaftlichen und medizinischen Risiken entgegengewirkt werden? Wie können Einzelfälle interessengerecht erfasst werden? Dies lässt sich insbesondere am gewählten Fallszenario verdeutlichen: Der Fall einer Karzinom-Erkrankung, die aufgrund ihrer indizierten Behandlung dazu geeignet ist, eine bereits laufende Kinderwunschbehandlung nicht fortzusetzen und damit den Verfall von kryokonservierten Embryonen zu riskieren, ist kein seltener Einzelfall. Zumindest ist dieser Fall in verschiedensten Ausformungen und verschiedenen Rechtskreisen unterschiedlich zu bewerten, aber vor allem ist er vorhersehbar und muss damit bei der Fassung einer Regelung mitbedacht werden. Am Beispiel des ESchG kann ein Reformbedarf dahingehend formuliert werden, dass ein deutsches Fortpflanzungsmedizingesetz eine höhere Rechtssicherheit für betroffene Paare und Personen darstellen würde. Aber auch unabhängig von der deutschen Regelungssituation würde eine möglichst einheitliche Handhabung bzgl. der Aufbewahrung von Embryonen bedeuten, dass ein höheres Maß an Rechtssicherheit hergestellt würde und ebenso Phänomenen wie einem potentiellen Kinderwunschtourismus entgegengetreten werden könnte. Als weitere Perspektive für die Beantwortung der bereits angerissenen offenen Forschungsfragen könnte die Akzeptanz innerhalb einer Gesellschaft gegenüber dem Verfahren und der Dauer von der Kryokonservierung entwicklungsfähiger Zellen und Embryonen näher beleuchtet werden. Außerdem könnte die Betrachtung des gesellschaftlichen Diskurses über die Familienkonzeption die Bewertung der Notwendigkeit einer Aufbewahrungsfrist oder eben ihrer Länge beeinflussen. Doch letztlich bleibt insbesondere die bedeutende Frage offen, warum hinsichtlich der Aufbewahrung von Embryonen überhaupt das Bedürfnis nach einer Regulierung durch eine Befristung der Aufbewahrung besteht und ob es eine gesellschaftliche, ethische, juristische, moralische oder gar politische Begründung dafür geben kann, in das Privatleben und die Familienplanung von Frauen und Paaren derart gravierend eingreifen zu können.
DOI: 10.13154/294-9753
ISSN: 2940-3170
[1] In Belgien beträgt die mögliche Aufbewahrungsdauer für Embryonen bis zu fünf Jahre, in Österreich beträgt die Dauer zehn Jahre und in England hingegen 55 Jahre. In Deutschland ist keine konkrete Aufbewahrungsfrist gesetzlich festgeschrieben.
[2] Gemeinsamer Bundesausschuss, https://www.g-ba.de/themen/methodenbewertung/ambulant/kuenstliche-befruchtung/methoden/ (zuletzt abgerufen am 13.02.2022).
[3] Das Potential der Entwicklungsfähigkeit einer Zelle zu einem Individuum wertet der EuGH in den Entscheidungsgründen eines seiner Urteile als entscheidendes Definitionsmerkmal eines Embryos: EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2014, Az. C-364/13.
[4] Bundesärztekammer, Richtlinie zur Entnahme und Übertragung von menschlichen Keimzellen im Rahmen der assistierten Reproduktion, 2018, S. A3.
[5] Montag et. al, Gynäkologische Endokrinologie 2005, 245, 245.
[6] Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 8. Aufl., 2021, VIII, Rn. 18.
[7] Vgl. hierfür zum Beispiel Lindner, ZRP 2019, 171, 171.
[8] BT-Drs. 11/5460, S. 9.
[9] Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, 4. Aufl., 2022, ESchG, § 1, Rn. 14 f.
[10] Vgl. zu dieser Problematik und dem damit einhergehenden Reformbedarf Merrem, Reformbedürftigkeit des Fortpflanzungsmedizinrechts, 2020, S. 126 ff.
[11] Bundesgesetzblatt Nr. 275/1992, S. 1299 ff.
[12] Bundesgesetzblatt Nr. 163/2004, S. 1.
[13] Nationalrat XXII. GP, Nr. 741 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen, 01. Dezember 2004, S. 1.
[14] Diese Möglichkeit bestand, wenn binnen der Lagerungsdauer von zehn Jahren dargelegt werden konnte, dass eine frühzeitige Unfruchtbarkeit besteht, vgl. Part 2 und Part 3 der The Human Fertilisation and Embryology Regulation 2009.
[15] https://www.progress.org.uk/from-ten-to-55-years-what-does-the-extension-in-the-storage-time-on-frozen-eggs-mean/ (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2023).
[16] https://www.progress.org.uk/its-time-to-remove-the-ten-year-limit-on-social-egg-freezing/ (zuletzt abgerufen am 20. Februar 2023).
[17] Paragraph 11 (für Embryonen speziell 11C und 11D) des Schedule 3 des HFEA in seiner aktuellen Fassung.
[18] An Stelle einer zum Beispiel 15-, 20- oder 30-jährigen Frist.
[19] https://www.progress.org.uk/from-ten-to-55-years-what-does-the-extension-in-the-storage-time-on-frozen-eggs-mean/#:~:text=Indeed%2C%20the%20maximum%20time%20limit,to%20enable%20intrafamilial%20egg%20donation. (zuletzt abgerufen am 15. Februar 2023).
[20] Möller/Hilland, in: Frister/Olzen, Reproduktionsmedizin, 2010, S. 125, S. 138 ff.
[21] Es werden verschiedene Ansätze der Herleitung vertreten. Hier wird sich allerdings lediglich auf eine Herleitung aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gestützt, da dies als Ansatz die reproduktive Selbstbestimmung in all ihren Ausgestaltungsformen bestmöglich schützt und widerspiegelt, vgl. Merrem, Reformbedürftigkeit des Fortpflanzungsmedizinrechts, 2020, S. 98 f. Bzgl. der weiteren Ansätze und ihren Herleitungen siehe ebenfalls Merrem, Reformbedürftigkeit des Fortpflanzungsmedizinrechts, 2020, S. 97 ff.
[22] Jellinek, Die sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe, 1878, S. 42.
[23] Beauchamp/Childress, Principles of Biomedical Ethics, 2009.
[24] Zum Beispiel schlägt Merrem in ihren Erläuterungen zu dem Entwurf eines deutschen Fortpflanzungsmedizingesetzes vor, dass bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen zur weiteren Aufbewahrung eine Frist von sechs Monaten abgewartet werden sollte, um der besonderen Sensibilität und Unumkehrbarkeit der Verwerfung von Embryonen Rechnung zu tragen, vgl. Merrem, Reformbedürftigkeit des Fortpflanzungsmedizinrechts, 2020, S. 315 f.; Leopoldina, Fortpflanzungsmedizin in Deutschland – für eine zeitgemäße Gesetzgebung, S. 59.
[25] Makoski, in: Clausen/Schroeder-Printzen, Münchener Anwaltshandbuch Medizinrecht, 3. Aufl., 2020, § 19, Rn. 93.
[26] Vgl. überblickshalber Schröer/Weichert, in: Diedrich/Ludwig/Griesinger, Reproduktionsmedizin, 2. Aufl., 2020, S. 329, S. 329 ff.
[27] Zumindest hinsichtlich einer fehlenden Einigung der Zellgeber*innen über das weitere Verfahren mit den gelagerten Embryonen erwägt Merrem eine Verknüpfung mit der Altersgrenze, bis zu welcher fortpflanzungsmedizinische Maßnahmen in Anspruch genommen werden können, vgl. Merrem,Reformbedürftigkeit des Fortpflanzungsmedizinrechts, 2020, S. 317.
[28] Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 06. Juli 2010 in den Entscheidungsgründen festgestellt, dass „sich aus dem Embryonenschutzgesetz keine Pflicht zur unbegrenzten Kryokonservierung ableiten“ lässt, BGH, Urteil v. 06. Juli 2010, Az. 5 StR 386/09. Die unbegrenzte Kryokonservierung von entwicklungsfähigen Zellen und Embryonen erscheint einerseits wenig interessengerecht und andererseits wirtschaftlich nicht gewollt und tragbar.
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