Die Landarztquotenregelungen der Länder – Aktuelle Bestandsaufnahme


  • Paul Bidmon

    Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie an der Ruhr-Universität Bochum.

  • Anna Büscher

    Die Autorin ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie an der Ruhr Universität Bochum sowie Rechtsanwältin bei Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf

  • Nele Walther

    Die Autorin ist Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie (Prof. Dr. Huster) an der Ruhr-Universität Bochum.

A.           Einleitung

Der demografische Wandel führt zunehmend zu einem gravierenden Fachkräftemangel. Dabei ist die Gesundheitsversorgung doppelt betroffen: Die geburtenstarken Jahrgänge werden älter, sodass die Morbidität und damit der Versorgungsbedarf zunimmt, während diese Jahrgänge[1] zugleich aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Dabei zeichnet sich ein besonders intensiver Mangel an sog. Landärzten, d. h. Ärzten und insbesondere Hausärzten im ländlichen Raum, ab.

Prognosemodelle führen zu der Annahme, dass im Vergleich zu 2014 in ganz Deutschland bis zum Jahr 2030 über 10.000 Hausärzte zur Versorgung des Bedarfs fehlen.[2] Dabei wird in den einzelnen Ländern ein Rückgang der praktizierenden Hausärzte bis zu 20% erwartet.[3]

Die Auswirkungen werden insbesondere in den ländlichen Regionen zu spüren sein. Denn trotz des 2015 in Kraft getretenen Versorgungsstärkungsgesetzes[4] sind Ballungsregionen überversorgt, während für die Hausarztpraxen in ländlichen Regionen[5] schon jetzt kaum Nachfolger gefunden werden.[6]

Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, hat zunächst das Land NRW zum Wintersemester 2019/2020 eine „Landarztquote“ eingeführt.[7] Inzwischen haben auch neun weitere Länder eine vergleichbare Regelung normiert.[8] Hinzu trat mit dem „Gesetz zur Verbesserung der flächendeckenden hausärztlichen Versorgung[9]“ bereits Anfang 2022 das Land Niedersachsen, sodass die erste Studienplatzvergabe nach der neuen Regelung dort zum Wintersemester 2023/24 erfolgt. Grund dafür sei vor allem der Aufwand zur Umstellung der Bewerbungsabläufe.[10]

Grundgedanke der Landarztquotenregelung ist, dass die Bereitschaft zur Tätigkeit als (Haus-) Arzt auf dem Land im Rahmen des Auswahlverfahrens bei der Studienplatzvergabe berücksichtigt wird. Dazu wird die hochschulrechtlich vorgesehene Möglichkeit der Länder zur Bildung von Vorabquoten (gemäß Art. 9 des Staatsvertrages über die Hochschulzulassung) wahrgenommen. So wird ein bestimmter Anteil der Studienplätze im jeweiligen Bundesland nur an Bewerber vergeben, die sich zuvor verpflichten, für zehn Jahre als Hausarzt in einem Gebiet des besonderen Bedarfs im jeweiligen Bundesland zu arbeiten.[11] Hochschulrechtlich muss es sich dabei nicht um ein ländliches Gebiet handeln. Insofern regelt zum Beispiel § 2 LAG NRW, dass ein besonderer öffentlicher Bedarf besteht, „wenn Sachgründe die Prognose rechtfertigen, dass in den in § 1 genannten Gebieten mehr Hausärztinnen und Hausärzte benötigt werden als sich dort für eine hausärztliche Tätigkeit entscheiden werden“. Dies wäre gundsätzlich auch in Ballungsgebieten denkbar. Aus der aktuellen Datenlage lässt sich allerdings eine besondere Problemlage für ländliche Regionen ausmachen, sodass sich die Begriffe „Landarztquote“ und „Landarztgesetz“ etabliert haben.

Die Vergabe von Medizinstudienplätzen ist verfassungsrechtlich nicht trivial,[12] denn viele Bewerber konkurrieren um vergleichsweise wenige Studienplätze, deren Erhalt ihnen „Lebenschancen“[13] eröffnet. Eine Privilegierung von bestimmten Bewerbern unterliegt daher strengen Rechtfertigungsanforderungen. Weiterhin prägt aber auch die Verpflichtung zur zehnjährigen Tätigkeit auf dem Land das Leben der angehenden Landärzte erheblich, denn der Bewerber verpflichtet sich neben der zehnjährigen Landarzttätigkeit auch, eine für die hausärztliche Tätigkeit qualifizierende Facharztweiterbildung zu absolvieren. So prägt der Erhalt eines Landarztquotenstudienplatzes das (Berufs-) Leben für mehr als 15 Jahre. Auch die Bindungen der Bewerber müssen daher verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Die sog. „Landarztgesetze“ müssen also diversen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen.

Nachdem die Landarztquote in NRW bereits seit sieben Semestern Anwendung findet, erfolgten erste Auswertungen: [14] 3349 Bewerbungen ergingen auf 528 Plätze, die innerhalb der ersten drei Jahre nach der Landarztquote vergeben wurden. Anfang 2022 waren davon noch 473 Studierende immatrikuliert. Auf einen Studienplatz nach Landarztquote bewarben sich also durchschnittlich sieben Interessenten. Das Durchschnittsalter der angehenden Landarzt-Studierenden liegt bei 24 Jahren, wobei 45% bereits über medizinische Erfahrung verfügen.

Die Nachfrage an Medizinstudienplätzen ist hoch. Sie übersteigt das Angebot an Studienplätzen deutlich.[15] Die Abbruchquote im allgemeinen Medizinstudiengang liegt durchschnittlich bei 11%.[16] Da bisher die Regelstudienzeit des ersten Jahrgangs von Landarztquotenbewerbern noch nicht verstrichen ist, lässt sich insoweit noch kein direkter Vergleich ziehen. Im Rahmen des ersten Berichts der Landesregierung NRW über die Evaluierung des Landartzgesetzes lag die vorläufige Abbruchrate noch unter einem Prozent,[17] sodass sich derzeit jedenfalls keine ungewöhnlich hohe Abbruchquote der Studierenden nach der Landarztquote abzeichnet.

Die Studierenden „der ersten Generation“ der Landarztquote in NRW absolvieren voraussichtlich im Jahr 2027 das Staatsexamen und werden nach fünf Jahren Facharztausbildung frühstens 2032 eine Arztpraxis in einer ländlichen Region übernehmen. An diesem Punkt ergibt sich die zweite verfassungsrechtliche Problematik, nämlich dass die Studierenden ihren Arbeitsort bzw. Arbeitsplatz für die nächsten 10 Jahre nicht frei wählen dürfen.

Zusammenfassend kommt es für die verfassungsrechtliche Bewertung daher auf zwei Perspektiven an: Ist die Bevorzugung der Bewerber, die sich verpflichten, auf dem Land zu arbeiten, verfassungsgemäß? Und ist die spätere Verpflichtung der Landarztquoten-Absolventen zur Tätigkeit auf dem Land verfassungsgemäß?

B.            Verfassungsrechtliche Perspektiven auf die Landarztquote

In Diskussionen um Landarztquotenregelungen rücken vielfach primär die sich für lange Zeit verpflichtenden, angehenden Landärzte in den Blick. So wendete sich zum Beispiel der deutsche Ärztetag mit dem Argument, dass angehende Medizinstudenten nur schwer einschätzen können, welche Fachrichtung sie später einschlagen wollen, gegen die Einführung von Landarztquotenregelungen.[18]

Sozialpolitisch ist dieser Aspekt nachvollziehbar, denn immerhin verpflichten sich in der Regel noch sehr junge Studierende, ihren Berufs- und damit mittelbar auch ihren Lebensweg für mindestens zwei Jahrzehnte festzulegen. Änderungen dieser Pläne sind mit hohen Vertragsstrafen[19] belegt, weshalb diese Entscheidung ohne Zweifel von erheblichem Gewicht ist.

Aus verfassungsrechtlicher Sicht müssen aber verschiedene Perspektiven auf diese Vorabquote beleuchtet werden,[20] denn aus dem Recht auf gleichheitsgerechte Teilhabe aus Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG folgt, dass die Privilegierung von angehenden Landärzten im Verfahren zur Vergabe von Medizinstudienplätzen gegenüber den Bewerbern im regulären Verfahren rechtfertigungsbedürftig ist.

I.              Entzug der Kontingente aus dem allgemeinen Verfahren

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts[21] haben einzelne Bewerber auch bei hohen Bewerberzahlen keinen Anspruch auf Zuteilung eines Studienplatzes bzw. auf Schaffung zusätzlicher Studienplätze. Sie haben jedoch ein Recht auf gleichheitsgerechte Teilhabe aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG inne. [22]

Insbesondere in der Entscheidung vom 19.12.2017 konkretisiert das Bundesverfassungsgericht[23] die Vorgaben an das Auswahlverfahren im Detail und verlangt ein Höchstmaß an Chancengleichheit. Es erkennt dabei aber an, dass Versorgungsaspekte im Gemeinwohlinteresse Berücksichtigung finden können,[24] wobei ein gleichheitsgerechtes Auswahlverfahren nicht durch eine vollständige Bedarfslenkung unterlaufen werden darf.[25] Es ist daher nicht zu befürchten, dass die Einführung von Landarztquotenregelungen Tür und Tor für eine ausschließlich bedarfsgelenkte Studienplatzvergabe öffnet.[26]

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der besondere Bedarf an (Haus-)Ärzten auf dem Land jedenfalls die Einführung von Landarztquotenregelungen durch die Länder rechtfertigen kann. Weiterhin muss aber auch die Quotenhöhe gerechtfertigt sein. Die Quotenhöhen in den Ländern sind durch Art. 9 des Staatsvertrages über die Hochschulzulassung begrenzt. Danach können höchstens 20 % der Studienplätze über Vorabquoten vergeben werden, sodass sich die festgesetzte Höhe der Landarztquoten der Länder unterscheidet, denn die maximal mögliche Höhe hängt davon ab, inwieweit bereits andere Vorabquoten (z. B. für den Sanitätsdienst der Bundeswehr) vorgesehen sind.

Derzeitige Prognosemodelle (vgl. A.) lassen einen erheblichen Mangel an (Haus-) Ärzten auf dem Land erwarten, sodass die Quotenhöhen der Länder derzeit ohne Weiteres gerechtfertigt sind. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive ist allerdings geboten, eine fortlaufende, dahingehende Vorausberechnung vorzunehmen, denn eine Zulassung von Bewerbern über Landarztquotenregelungen stellt eine Verletzung des Rechts auf gleichheitsgerechte Teilhabe aus Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG abgelehnter Bewerber um Studienplätze der Hauptquote dar, wenn kein besonderer Bedarf an Landärzten mehr besteht. Mit Blick auf das anstehende Ausscheiden der sog. Babyboomer-Generation aus dem Berufsleben handelt es sich dabei in den nächsten Jahren allerdings um ein theoretisches Problem.

II.           Verpflichtung der angehenden Landärzte

Weitere verfassungsrechtliche Fragen werfen – wie erwähnt – die Verpflichtungen der angehenden Landärzte auf. Für die Bewerber um Studienplätze aufgrund der Landarztquote ist schon streitbar, ob die Verpflichtungserklärung – auch wenn es mit Blick auf die lange Verpflichtungsdauer überraschend erscheint – nicht lediglich eine zusätzliche Chance darstellt.

Die Einordnung der Landarztquotenregelungen als Eingriffs in das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG ist daher jedenfalls begründungsbedürftig.[27] Hintergrund dieser Überlegung ist, dass die mit der Verpflichtungserklärung verbundenen Einschränkungen hinsichtlich der späteren, freien Wahl des Ortes der Berufsausübung sowie der praktizierten Fachrichtung durch den Bewerber bewusst und freiwillig mit der Abgabe der Verpflichtungserklärung im Rahmen des Verfahrens zur Bewerbung um den Studienplatz herbeigeführt werden.

Beachtlich ist aber, dass dieser – grundsätzlich zulässige[28] – Grundrechtsverzicht regelmäßig einziges Mittel ist, überhaupt die angestrebte Berufswahl zu verwirklichen. Ein Bewerber, der im Wege der allgemeinen Studienplatzvergabe erwartbar einen Platz erhält, wird die mit der Verpflichtungserklärung einhergehenden Einschränkungen auch dann nicht in Kauf nehmen, wenn er entschlossen ist, im Anschluss an das Studium eine Tätigkeit als Landarzt aufzunehmen. Dies führt dazu, dass für die Landarztbewerber ein faktischer Zwang zur Eingehung der Verpflichtung entsteht, um das erstrebte Berufswahlziel erreichen zu können.[29]

Als Eingriff im modernen Sinne,[30] also einem staatlichen Handeln, dass ein Verhalten aus dem Schutzbereich eines Grundrechtes (hier die Berufswahl) wesentlich erschwert oder unmöglich macht, ist dabei nicht der faktische Zwang selbst, sondern die Normierung von Voraussetzungen zu erblicken, unter denen dieser Anteil der Studienplätze vergeben wird. Denn diese Zuweisung führt gerade erst zu dem Zwang, sich einer Verpflichtung auf Grundlage dieser Regelungen zu unterwerfen.[31]

Bei der Bewertung des Vorliegens eines Grundrechtseingriffs ist zu beachten, dass die Landarztquote für die erfolgreichen Bewerber zwar einerseits mit dem dargestellten Verpflichtungsdruck einhergeht, andererseits jedoch eine Rechtskreiserweiterung bewirkt. Denn bei dem Bewerberkreis handelt es sich um Personen, die im Wege der allgemeinen Studienplatzvergabe in der Regel keinen Studienplatz im Fach Humanmedizin erhalten.

III.        Verfassungsrechtliches Spannungsverhältnis

Aus diesen verfassungsrechtlichen Positionen entsteht ein Spannungsfeld, denn das Recht auf gleichheitsgerechte Teilhabe aus Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG der Bewerber um Studienplätze der Hauptquote bedingt, dass eine Landarztquotenregelung nur gerechtfertigt ist, wenn sie tatsächlich geeignet ist, den besonderen Bedarf, d. h. den Ärztemangel auf dem Land, abzusenken und verlangt so eine strenge Verpflichtung der Bewerber um Studienplätze der Landarztquote. Spiegelbildlich intensiviert sich der Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG der Absolventen aufgrund der Landarztquotenregelung, wenn strenge Regelungen zur Durchsetzung der Verpflichtung zur Tätigkeit auf dem Land vorgesehen werden. In den Landarztgesetzen der Länder müssen die Wechselwirkungen aus diesen verfassungsrechtlichen Positionen daher in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden.[32]

Gleichwohl die Verfassungsmäßigkeit nur landesspezifisch beurteilt werden kann, lassen sich einige grundsätzliche Aussagen treffen:

1.             Gleichheitsgerechte Teilhabe

Wird das Recht auf gleichheitsgerechte Teilhabe der Bewerber in der allgemeinen Studienplatzvergabe unter Verweis auf den legitimen Zweck der ländlichen Versorgung beschränkt, so muss die Verpflichtung sicherstellen, dass die Privilegierung der Landarztbewerber im Ergebnis diesen Zweck signifikant fördert, insbesondere

  • muss eine Vertragsstrafe die Absolventen aufgrund der Landarztquotenregelung daher wirksam motivieren, auch tatsächlich auf dem Land tätig zu werden. Aus dieser Perspektive ist eine Vertragsstrafe daher möglichst hoch anzusetzen.[33] Das Recht auf gleichheitsgerechte Teilhabe wäre verletzt, wenn die Vertragsstrafe regelhaft eingepreist werden und solvente Bewerber sich einen Medizinstudienplatz auf diese Weise erkaufen.
  • hat der jeweilige Landesgesetzgeber Auswahlkriterien zu normieren, die eine höhere Studienabbrecherquote unter den Landarztbewerbern nicht befürchten lassen.
  • müssen die normierten Auswahlkriterien gewährleisten, dass grundsätzlich für ein Medizinstudium geeignete Bewerber ausgewählt werden, die eine gegenüber dem Verfahren der Hauptquote signifikant höhere Studienabbrecherquote unter den Landarztbewerbern nicht befürchten lassen.
  • darf keine überschießende Anzahl von Landärzten, die sodann aus der Verpflichtung zu entlassen wären, ausgebildet werden. Lassen Prognosen erwarten, dass der Mangel auf dem Land beseitigt ist, entfällt der zur Rechtfertigung erforderliche Zweck der Landarztquote und das Recht auf gleichheitsgerechte Teilhabe wäre verletzt.

Da die vorstehenden Aspekte mit Grundrechtseingriffen einhergehen, deren Verhältnismäßigkeit vom Zutreffen gesetzgeberischer Prognosen abhängt, besteht eine verfassungsrechtliche Pflicht, diese auch fortlaufend zu beobachten.[34]

2.             Berufsfreiheit

Die Verpflichtung der Landarztbewerber darf ihre grundrechtlichen Freiheiten nur insoweit einschränken, als dass dies für die Verfolgung des legitimen Zwecks, d. h. der Deckung des besonderen Bedarfs in ländlichen Gebieten, tatsächlich notwendig ist. Insbesondere

  • müssen mit Blick auf die sehr lange Verpflichtungsdauer Härtefallregelungen bestehen, die auch unter Einbeziehung bestehender Prognoseunsicherheiten für die Landarztbewerber nicht vorhersehbare Härten erfassen. Dabei dürfen Härtefallregelungen – mit Blick auf das Recht auf gleichheitsgerechte Teilhabe – andererseits nicht zu weit gefasst werden.
  • darf keine Vertragsstrafe für Bewerber vereinbart werden, welche das Studium nicht erfolgreich abschließen. Ein für den Beruf ungeeigneter Student, ist auch nicht geeignet den ärztlichen Versorgungsbedarf auf dem Land zu decken. Der Vertragsstrafe dient nicht der Abgeltung der für den Studienplatz angefallenen Kosten o. ä. (s. o. B. III. 1.), sondern soll die Verpflichtung zur ärztlichen Tätigkeit auf dem Land durchsetzen. Diese Durchsetzungsfunktion läuft gegenüber Studenten, die im Verlauf des Studiums feststellen, dass sie für den gesamten Arztberuf ungeeigent sind, per se ins Leere.
  • muss der Gesetzgeber etwa prüfen, ob dem Absolventen die Wahl des Lebensmittelpunktes zukommen kann, sofern ein Versorgungsdefizit in gleichem Maße an verschiedenen Orten im Anwendungsbereich der Verpflichtung besteht. Eine zwangsweise Zuteilung des Lebensmittelpunktes für zehn Jahre ließe sich insbesondere nicht durch Verwaltungspraktikabilitätsüberlegungen rechtfertigen.

Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass beide widerstreitende Positionen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen sind. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber insoweit eine Einschätzungsprärogative zusteht.[35] Zum Beispiel schließt auch eine extrem hohe Vertragsstrafe nicht aus, dass vereinzelt solvente Bewerber bereit sind, die Strafe zu zahlen, um sich einen Medizinstudienplatz zu erkaufen. Entscheidend ist, ob eine belastbare Annahme besteht, dass das gewählte Regelungskonzept den Gesetzeszweck jedenfalls fördert. Mit Blick auf die diversen Prognosen, die im Zuge der Einführung von Landarztquotenregelungen erforderlich sind, ist eine sorgfältige Evaluation der Regelungen geboten und es gilt eine verfassungsrechtliche Beobachtungspflicht (s. o. B. III. 1.).[36] Sollte sich zum Beispiel herausstellen, dass eine Vielzahl der ersten Absolventen die Vertragsstrafe auslösen, indem sie eine andere Weiterbildung beginnen, wäre eine Erhöhung der jeweiligen landesgesetzlichen Vertragsstrafenregelung verfassungsrechtlich geboten.

C.           Rechtsprechungsentwicklung

Die Vergabe von Medizinstudienplätzen ist regelmäßig streitanfällig,[37] sodass auch die Privilegierung von sog. Landarztbewerbern um Studienplätze kurz nach dem Inkrafttreten bereits zum Gegenstand der Rechtsprechung wurde.[38] Voraussichtlich werden weitere Verfahren folgen, wenn die ersten Studienplätze über die zwischenzeitlich neu geschaffenen Landarztgesetze vergeben werden.

Zwei Beschlüsse im Eilrechtsschutz[39] betrafen Anträge von abgelehnten Bewerbern um Studienplätze aufgrund von Landarztquoten in Nordrhein-Westfalen und in Sachsen-Anhalt. Die Antragssteller in diesen Verfahren beanstandeten den Ablauf[40] und Kriterien[41] des Auswahlverfahrens. Verfassungsrechtliche Zweifel an den Ausgestaltungen der Länder kommen in diesen Beschlüssen nicht zum Ausdruck. Spannend bleibt, ob diese (Erst-) Einschätzung in zukünftiger Rechtsprechung Bestand haben wird, was mit Blick auf die summarische Prüfung im Eilverfahren noch nicht absehbar ist.

Gänzlich andere Zusammenhänge greift eine wettbewerbsrechtliche Entscheidung des OLG Köln[42] auf. Die Antragstellerin scheiterte im Eiverfahren mit seinem Unterlassungsbegehren gegen Klauseln aus dem Formularvertrag des Landeszentrums Gesundheit Nordrhein-Westfalen über die Vergabe von Medizinstudienplätze – Landärzte,die sie als wettbewerbswidrig ansieht. Die Antragstellerin betreibt eine Studienplatzvermittlung, deren Geschäftsgegenstand die Vermittlung von Studienplätzen im Ausland ist. Ihr Angebot richtet sich an Interessenten für ein Medizinstudium, die in Deutschland schlechte Chancen auf Erhalt eines Medizinstudienplatzes haben. Neben der Vermittlung von Medizinstudienplätzen im Ausland bietet sie auch Unterstützungsleistungen für einen späteren Wechsel nach Deutschland an. Vor diesem Hintergrund stufte sie die Konzeption der Landarztquotenregelung, d. h. die Privilegierung von Studenten bei der Studienplatzvergabe im Gegenzug gegen die Verpflichtung, für zehn Jahre in Gebieten besonderen Bedarfs tätig zu sein, als wettbewerbswidrig ein. Das OLG Köln sah den Abschluss des dazu erforderlichen öffentlich-rechtlichen Vertrages aber nicht als geschäftliche Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG an.

D.           Ausblick

Die bisherige Rechtsprechung betrifft insbesondere das Auswahlverfahren unter Bewerbern um Studienplätze aufgrund von Landarztquotenregelungen. Rechtsprechung aus einem Verfahren eines abgelehnten Bewerbers um einen Studienplatz im Rahmen des allgemeinen Zulassungsverfahrens zur Vergabe von Medizinstudienplätzen erging – soweit ersichtlich – bisher nicht. Der Entzug der Studienplatzkontingente aus dem allgemeinen Zulassungsverfahren ist nur gerechtfertigt, wenn die Landarztquotenregelungen auch zur Erreichung des Ziels – dem Mangel an Hausärzten, insbesondere in ländlichen Regionen entgegenzuwirken – geeignet ist (s. o. B. III.). In einem solchen Verfahren müssten daher die durch die Länder getroffenen Prognosen kontrolliert werden. Die dahingehende verfassungsrechtliche Bewertung durch die Rechtsprechung könnte dabei noch einmal interessant werden.

Spannende Rechtsfragen werden außerdem entstehen, wenn die ersten Absolventen die Tätigkeit auf dem Land aufnehmen oder eben nicht aufnehmen wollen. Rund um die Aufnahme der Tätigkeit ist zum Beispiel an Konkurrenzsituationen zu denken, wenn mehrere Bewerber denselben Tätigkeitsort favorisieren. In dieser Konstellation ergeben sich mitunter besonders dann Rechtsstreitigkeiten, wenn einer der Bewerber eine Praxisübernahme aus dem Familienkreis anstrebt.

Falls Bewerber die Verpflichtung nicht erfüllen können oder wollen, werden Rechtsfragen um die Anwendung der der Härtefallregelungen in den Landarztgesetzen entstehen. Was sind zum Beispiel „familiäre Gründe [, die] die Erfüllung der Verpflichtungen unzumutbar machen“[43]?

Die Landarztquote wird also in den kommenden Jahren immer wieder Gegenstand juristsicher, aber auch gesundheitspolitischer Diskussionen sein.

DOI: 10.13154/294-9834

ISSN: 2940-3170

[1]Das Statistische Bundesamt, Bevölkerung im Wandel: Ergebnisse der 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung, 2022, S.2, 7, 11f; Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Koordination und Integration – Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren Lebens. BT-Drs. 16/13770, S. 27 ff.

[2]Modell der KBV, 2016: https://www.kbv.de/media/sp/2016_10_05_Projektion_2030_Arztzahlentwicklung.pdf (https://taz.de/Medizinische-Versorgung-auf-dem-Land/!5855737/ (dieser und alle weiteren Links in diesem Beitrag wurden am 29.03.2023 zuletzt abgerufen).

[3]Studie am Beispiel Niedersachsen mit der Erwartung eines Rückgangs der Versorgungsdichte von über 20 %: Thopsen/Iingwersen/Weilage,Versorgungsgradprognosen als Baustein einer evidenzbasierten Versorgungsplanung, 2021: https://doi.org/10.1016/j.zefq.2021.02.002.

[4] Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung v. 16.07.2015, BGBl. I 2015, Nr. 30, 22.07.2015 , S. 1211.

[5] Ein Verteilungsproblem ergibt sich auch für Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst. Aufgrund dessen sehen einige der Gesetze, wie beispielweise das BayLArztG oder das GHVÖG Hessen, auch eine Vorabquote für den öffentlichen Dienst vor, diese wird in diesem Beitrag nicht aufgegriffen.

[6] Siehe dazu insbesondere die interaktive Karte der KBVK, die den Versorgungsgrad in Bezug auf Hausärzte in den verschiedenen Städten anzeigt: https://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/html/17016.php , Fallbeispiel aus der TAZ vom 30.05.2022 Wiemann, https://taz.de/Medizinische-Versorgung-auf-dem-Land/!5855737/.

[7] GV NRW 2018 Nr. 32, S. 729; vgl. auch Gesetzentwurf der Landesregierung NRW, LT-Drs. 17/3037, S. 1.

[8] Ende 2019 erfolgte die Einführung in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, 2020 in Bayern und im Saarland. 2021 folgten Baden- Württemberg und Sachsen, sowie Hessen im Jahr 2022. In Niedersachsen werden ab dem Wintersemester 2023/24 Studienplätze nach der Landarzt Quote vergeben, in Thüringen steht eine solche Quote im Rahmen eines Hausärztesicherstellungsgesetzes in der Diskussion, vgl. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/140492/Thueringen-bringt-Hausarztquote-im-Medizinstudium-auf-den-Weg .

[9] Nds. GVBl. S. 189.

[10] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Niedersachsen-Die-Landarztquote-kommt-doch-erst-2023,aktuellhannover10330.html; Landesregierung Niedersachsen, LT-Drs. 18/10925 S. 3.

[11] Siehe jeweilige Regelung des Landes, zB. LAG NRW § 2 S. 1 Nr. 2, BayLArztG Art. 1 S. 1 Nr. 2.

[12] Deutlich wird dies in der umfangreichen Rechtsprechung und den Darstellungen in der Literatur. Beispielhaft: BVerfGE 33, 303; 39, 258; 39, 276; 43, 34; 147, 253; Stollmann, GesR 2020, 416, 417.

[13] BVerfGE 33, 303 (322).

[14] Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Erster Bericht zum Landarztgesetz gemäß § 7 LAG NRW (Landtag NRW Vorlage 17/6226), S. 11.

[15] Vgl. dazu die Statistiken der Stiftung Hochschulstart zu Angebot und Nachfrage der Medizinstudienplätze seit Sommersemster 2015, abrufbar unter https://www.hochschulstart.de/startseite/statistik.

[16] https://www.aerztezeitung.de/Wirtschaft/Warum-Medizinstudenten-ihr-Studium-seltener-abbrechen-310940.html.

[17] Landtag NRW (Fn. 14), S. 12.

[18] Bundesärztekammer, 119. Deutscher Ärztetag 2016, Beschlussprotokoll, S. 50:  https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/_old-files/downloads/pdf-Ordner/119.DAET/119DAETBeschlussprotokoll20160603.pdf .

[19] Die Vertragsstrafe in NRW beträgt 250.000 Euro, siehe z.B. § 4 Abs. 1 LAG NRW, Art. 2, S.1 BayLArztG.

[20] Umfassend zur Verfassungsmäßigkeit der Landarztquotenregelung in NRW: Huster/Büscher,VSSAR 2019, 217-265.

[21] BVerfGE 33, 303; 43, 291; 147, 253.

[22] Siehe dazu ausführlich Huster/Büscher, VSSAR 2019, 217, 222 ff.

[23] BVerfGE 147, 253, Rn. 105 ff.

[24] BVerfGE 147, 253, Rn. 108.

[25] Vgl. nur BVerfGE 33, 303 (330).

[26] Zu diesen Befürchtungen: Straehler-Pohl, https://www.deutschlandfunk.de/deutscher-aerztetag-landarztquote-stoesst-auf-ablehnung-100.html, sowie zur Entschließung gegen die Einführung der Landarztquote: Bundesärztekammer (Fn.20), S. 50.

[27] Dazu auch Huster/Büscher, VSSAR 2019, 217, 248 f.

[28] BVerfGE 30, 292 (334).

[29] So auch Huster/Büscher, VSSAR 2019, 217, 249.

[30] BVerfGE 105, 279 (299 ff.); Epping, Grundrechte, 8. Auflage, Rn. 392 ff.

[31] Huster/Büscher, VSSAR 2019, 217, 248 f.

[32] S. ausführlich zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung Huster/Büscher, VSSAR 2019, 217, 237 ff., 249 ff.

[33] Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es dabei völlig unerheblich, welche Kosten für einen Medizinstudienplatz entstehen.

[34] Vgl. BVerfGE 49, 89 (132); in Bezug auf Art. 3 GG: BVerfGE 110, 141 (169) und allgemein zur Beobachtungspflicht vgl. Huster, Zeitschrift für Rechtssoziologie 2003, 24, 1ff.

[35] BVerfGE 50, 290 (333); BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. März 2007, 1 BvR 2228/02, Rn 38 ff.

[36] S. Fn. 36.

[37] Vgl. nur BVerfGE 33, 303; 39, 258; 39, 276; 43, 34; 43, 291; 54, 173; 147, 253.

[38] VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 4. Mai 2020, 6 L 339/20; VG Magdeburg, Beschl. v. 17. Juni 2021, 7 B 443/20.

[39] VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 4. Mai 2020, 6 L 339/20; VG Magdeburg, Beschl. v. 17. Juni 2021, 7 B 443/20.

[40] VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 4. Mai 2020, 6 L 339/20.

[41] VG Magdeburg, Beschl. v. 17. Juni 2021, 7 B 443/20.

[42] OLG Köln, Beschl. v. 12. Juli 2022, I-6 W 32/22.

[43] Z. B. § 4 Abs. 2 Satz 2 Sächsisches Landarztgesetz.

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