Abstract:
Drei Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Tatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) für nichtig erklärt hat, wird der Deutsche Bundestag erneut über eine gesetzliche Regelung der Suizidassistenz entscheiden. Der bisher von der größten Zahl von Abgeordneten unterstützte Gesetzentwurf will diesen Straftatbestand erneut einführen und lediglich durch einen eng gefassten Rechtfertigungsgrund ergänzen. Der Beitrag legt dar, dass dies die Tätigkeit von Suizidhilfeorganisationen nicht zurückdrängen, sondern im Gegenteil dazu führen würde, dass Personen, die einen Suizid erwägen, sich zur Verwirklichung ihres Rechts auf selbstbestimmtes Sterben verstärkt an solche Organisationen wenden müssten.
A. Einführung
I. Der Stand der parlamentarischen Beratungen
Am 26.02.2020 hatte das Bundesverfassungsgericht in einem aufsehenerregenden Urteil[1] den im Dezember 2015 geschaffenen[2] Straftatbestand des § 217 StGB, der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellte, für nichtig erklärt. Nach drei Jahren intensiver rechtspolitischer Diskussion scheint nun die Entscheidung über einen etwaigen Nachfolgetatbestand bevorzustehen. Bereits am 24.06.2022 sind drei fraktionsübergreifende Entwürfe zur gesetzlichen Regelung der Suizidassistenz in erster Lesung beraten und an die Ausschüsse überwiesen worden. Der federführende Rechtsausschuss hat zu diesen Entwürfen am 28.11.2022 eine Sachverständigenanhörung durchgeführt und dürfte alsbald seinen Bericht vorlegen, auf dessen Grundlage die Abgeordneten des Deutschen Bundestag nach den derzeitigen Planungen noch im März dieses Jahres ohne Fraktionszwang über die künftige Regelung der Suizidassistenz entscheiden werden.
Während zwei der drei Gesetzentwürfe das Recht auf selbstbestimmtes Sterben in den Vordergrund stellen und die Suizidassistenz außerhalb des Strafgesetzbuches regulieren wollen,[3] schlägt der von der größten Zahl von Abgeordneten unterzeichnete und deshalb wohl aussichtsreichste Entwurf[4] eine erneute Einführung des vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten Straftatbestands der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vor. Dessen Verfassungswidrigkeit will der unter der Federführung des Abgeordneten Castellucci formulierte Entwurf durch die Einfügung eines Rechtfertigungsgrunds beseitigen, der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Geschäftsmäßige Suizidassistenz soll somit (erneut) strafrechtlich geahndet werden, sofern nicht die Freiverantwortlichkeit des Suizidwillens in dem für die Rechtfertigung vorgesehenen Verfahren überprüft und festgestellt worden ist.
II. Das derzeit geltende Recht
Um dieses Gesetzesvorhaben richtig einzuordnen, ist es wichtig, sich klarzumachen, dass bereits nach geltendem Recht nur die Hilfe zu einem freiverantwortlichen Suizid straflos ist. Beruht ein Suizid nicht auf einer freiverantwortlichen Entscheidung,[5] ist dessen Unterstützung nach der strafgerichtlichen Rechtsprechung[6] nicht als eine straflose Beihilfe zur Selbsttötung, sondern als eine in mittelbarer Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) begangene Fremdtötung zu bewerten. Dies hat zur Folge, dass sich ein vermeintlicher „Suizidhelfer“ wegen Totschlags (§ 212 StGB) und bei Verwirklichung eines Mordmerkmals sogar wegen Mordes (§ 211 StGB) strafbar macht, wenn er es für möglich hält und in Kauf nimmt, dass der von ihm unterstützte Suizid nicht freiverantwortlich ist. Handelt er hinsichtlich der fehlenden Freiverantwortlichkeit ohne Vorsatz, so ist er wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) strafbar, wenn er diese Möglichkeit hätte erkennen können.
Zwar wird sich im Nachhinein oft nicht mehr feststellen lassen, ob ein assistierter Suizid freiverantwortlich war, und damit das Gebot, im Zweifel zugunsten des Angeklagten zu entscheiden, häufig eine Bestrafung wegen vollendeter Fremdtötung ausschließen. Aber weil eine versuchte mittelbare Täterschaft gemäß § 22 StGB nur die Vorstellung des sie begründenden Sachverhalts erfordert,[7] kann der vermeintliche Suizidhelfer in einem solchen Fall wegen versuchten Totschlags oder Mordes (§§ 212, 211, 22, 23 Abs. 1 StGB) bestraft werden, wenn er bedingten Vorsatz hinsichtlich der fehlenden Freiverantwortlichkeit hatte. Da zumindest professionellen Suizidhelfern in aller Regel bekannt ist, dass der überwiegende Anteil von Suizidhandlungen nicht auf einer freiverantwortlichen Entscheidung beruht, müssen sie die Freiverantwortlichkeit einer Suizidentscheidung deshalb bereits nach geltendem Recht stets sorgfältig prüfen und dokumentieren, um dem Vorwurf einer zumindest versuchten mittelbaren Fremdtötung zu entgehen.
B. Der Entwurf Castellucci
I. Rechtspolitische Intention
Diese Rechtslage bestand bereits bei der Einführung des vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten § 217 StGB. Dementsprechend wurde dieser Tatbestand zwar als abstraktes Gefährdungsdelikt zum Schutz vor nicht freiverantwortlichen Selbsttötungen konstruiert, hatte aber rechtspolitisch vor allem die Intention, die Tätigkeit von Suizidhilfeorganisationen zu unterbinden und dadurch einer Normalisierung des Suizids entgegenzuwirken[8]. Der Entwurf Castellucci ist darauf ausgerichtet, diese Grundidee so weit wie möglich aufrecht zu erhalten. Wenn die Tätigkeit der Suizidorganisationen schon nicht mehr vollständig unterbunden werden kann, so soll sie durch eine regelhafte strafrechtliche Missbilligung der Suizidassistenz und strenge Anforderungen an das für deren Rechtfertigung erforderliche Verfahren wenigstens so weit wie möglich zurückgedrängt werden.
II. Gegenteilige Wirkung
Die Vorstellung, dies würde mit dem vorgelegten Entwurf gelingen, unterschätzt jedoch die Anpassungsfähigkeit von Suizidhilfeorganisationen. Diese sind durch eine nur noch regelhafte Missbilligung der Suizidhilfe nicht zu beeindrucken und könnten die Beachtung der für die Rechtfertigung erforderlichen Verfahrensvoraussetzungen besser und leichter organisieren als nur in Einzelfällen Suizidassistenz leistende Personen. Im Ergebnis würde die vorgeschlagene Regelung die Tätigkeit von Suizidhilfeorganisationen deshalb nicht zurückdrängen, sondern im Gegenteil mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass suizidwillige Personen bei der Verwirklichung ihres Rechts auf selbstbestimmtes Sterben sogar verstärkt auf die Hilfe dieser Organisationen angewiesen wären.
1. Erfassung im Einzelfall geleisteter ärztlicher Suizidassistenz
Maßgeblich dafür ist zunächst, dass der Tatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung keineswegs nur die Tätigkeit von Suizidhilfeorganisationen, sondern jede in einem beruflichen Rahmen geleistete Suizidassistenz erfasst. Anders als der umgangssprachliche Wortsinn dies nahelegt, setzt Geschäftsmäßigkeit im Strafrecht weder Gewinnerzielungsabsicht noch organisiertes Handeln, sondern lediglich eine auf Wiederholung angelegte Tätigkeit voraus.[9] Geschäftsmäßig handelt deshalb auch der Hausarzt, der sich im Einzelfall dafür entscheidet, in einer „außergewöhnlichen Konfliktsituation“[10] Suizidhilfe zu leisten, sofern er nur dazu bereit, dies bei anderen Patienten in einer vergleichbaren Situation erneut zu tun. Da ein verantwortlich handelnder Arzt diese Bereitschaft schon deshalb haben wird, weil er sich dazu verpflichtet fühlt, seine Patienten gleich zu behandeln, unterfällt im Ergebnis jede nicht persönlich motivierte ärztliche Suizidassistenz dem Begriff der Geschäftsmäßigkeit.[11]
Von dem Straftatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung nicht erfasst sind damit nur Förderungshandlungen, die auf einer persönlichen Beziehung des Handelnden zu der suizidwilligen Person beruhen. Das Angebot solcher Handlungen mag in geringerem Maße die oft beschworene Gefahr einer „Normalisierung des Suizids“ begründen als das Angebot professioneller Assistenz. Aber die abstrakte Gefährdung der Freiverantwortlichkeit von Suizidentscheidungen ist bei einer durch persönliche Beziehungen motivierten Assistenz sogar höher, weil sich aus der persönlichen Beziehung auch ein persönliches Interesse an dem Tod der betreffenden Person ergeben kann. Ein solches Interesse, das sowohl materieller als auch immaterieller Natur sein kann, erhöht naturgemäß die Gefahr, dass auf diese Person unterschwellig Druck ausgeübt oder ihr gegenüber zumindest Erwartungen zum Ausdruck gebracht werden, denen sie meint, genügen zu müssen oder zu sollen.
Der Begriff der Geschäftsmäßigkeit beschränkt den Anwendungsbereich des Tatbestands also weder auf das Handeln von Suizidhilfeorganisationen noch ist er dazu geeignet, Fälle der Suizidassistenz zu erfassen, in denen die Freiverantwortlichkeit der Suizidentscheidung typischerweise besonders gefährdet ist. Obwohl dies in der strafrechtlichen Diskussion vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts bereits eingehend dargelegt wurde, setzt sich der Entwurf mit dieser Kritik nicht auseinander[12] und hält unreflektiert an dem als Eingrenzung untauglichen Begriff der Geschäftsmäßigkeit fest. Dementsprechend ist die durch diesen Begriff bewirkte Einschränkung des Tatbestands nicht konsequent. Wer eine regelhafte strafrechtliche Missbilligung der Suizidassistenz durch ein abstraktes Gefährdungsdelikt für notwendig erachtet, müsste konsequenterweise auf das Merkmal der Geschäftsmäßigkeit verzichten und die Förderung der Selbsttötung als solche regelhaft missbilligen.[13]
2. Regelhafte Missbilligung der Suizidassistenz
Eine regelhafte Missbilligung der (geschäftsmäßigen) Suizidassistenz ist allerdings schon deshalb fragwürdig, weil Suizidassistenz nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht nur zulässig, sondern für eine zumutbare Ausübung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben sogar notwendig ist.[14] Wenn zu einer effektiven Gewährleistung dieses Rechts auch die Möglichkeit gehört, zur Beendigung des eigenen Lebens die Hilfe hierzu bereiter Dritter in Anspruch zu nehmen, dann darf das Angebot solcher Hilfe nicht generell als strafrechtliches Unrecht vertypt werden. Dementsprechend wird die Wiedereinführung des lediglich durch einen Rechtfertigungsgrund ergänzten Straftatbestands der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in der Diskussion verbreitet als mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht vereinbar angesehen.[15] Auch in der Anhörung im Rechtsausschuss wurde der Entwurf Castellucci zum Teil als verfassungswidrig bewertet.[16]
Dieser Argumentation lässt sich nicht einfach entgegenhalten, dass die strafrechtliche Missbilligung eines tatbestandsmäßigen Verhaltens erst mit der Feststellung von dessen Rechtswidrigkeit erfolge. Zwar gibt es auch ganz alltägliche Verhaltensweisen, die – wie etwa mit Einwilligung erfolgende ärztliche Heileingriffe oder unerlässliche staatliche Zwangsmaßnahmen – den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllen und im Ergebnis in keiner Weise missbilligt werden. Aber auch die durch solche alltäglichen Verhaltensweisen erfüllten Straftatbestände beinhalten die Aussage, dass das in ihnen beschriebene Verhalten (Körperverletzung, Freiheitsberaubung, etc.) regelmäßig zu missbilligen ist. Bei einem Tatbestand der (geschäftsmäßigen) Förderung der Selbsttötung wäre dies nicht anders, so dass ein solcher Tatbestand gerade das Verhalten regelhaft missbilligen würde, das nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts für die zumutbare Ausübung des Grundrechts auf selbstbestimmtes Sterben notwendig ist.
Dies damit zu rechtfertigen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil es explizit als zulässig erachtet hat, die Suizidhilfe zum Schutz vor nicht freiverantwortlichen Suiziden strafrechtlich zu regulieren,[17] vermag nicht zu überzeugen. Eine strafrechtliche Regulierung kann die Missachtung eines bei der Leistung von Suizidhilfe zu beachtenden Verfahrens als strafrechtliches Unrecht vertypen, nicht aber die Suizidhilfe selbst, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine zumutbare Grundrechtsausübung erst ermöglicht. Dies hat bei der Anhörung im Rechtsausschuss auch der von den Verfassern des Entwurfs benannte Sachverständige indirekt eingeräumt, indem er vorschlug, den in dem Entwurf vorgesehenen Rechtfertigungsgrund besser als Tatbestandsausschließungsgrund zu formulieren, um die Vertypung der (geschäftsmäßigen) Förderung der Selbsttötung als strafrechtliches Unrecht zu vermeiden.[18]
Eine solche Umformulierung mag dazu geeignet sein, den Widerspruch zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts formal ausräumen, änderte aber nichts daran, dass der in dem Entwurf vorgesehene Nachfolgetatbestand des für nichtig erklärten § 217 StGB nach wie vor in der Gesellschaft als grundsätzliche Missbilligung einer (geschäftsmäßigen) Förderung des Suizids verstanden würde. Insbesondere die Mehrheit der Ärzteschaft würde sich durch einen solchen Tatbestand in ihrer – ungeachtet der durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erzwungenen Aufhebung des berufsrechtlichen Verbots des Suizidhilfe[19] – noch immer sehr verbreiteten Auffassung bestätigt sehen, dass die Leistung von Suizidassistenz auch als ultima ratio mit dem ärztlichen Berufsethos nicht zu vereinbaren sei. Dies würde es auch Ärzten, die an dieser strikten Ablehnung nicht mehr festhalten wollen, psychologisch erschweren, Suizidassistenz zu leisten.
Im Ergebnis dürfte ein solcher Nachfolgetatbestand damit verhindern, dass in Zukunft mehr Ärzte dazu bereit sind, als ultima ratio auch Suizidhilfe zu leisten. Man tritt den Verfassern des Entwurfs wohl nicht zu nahe, wenn man davon ausgeht, dass dies auch eines der Ziele ihres Entwurfs ist. Die Hoffnung, mit dem Erreichen dieses Ziels zugleich die Suizidassistenz insgesamt zu begrenzen und einer „Normalisierung des Suizids“ entgegenzuwirken, dürfte sich jedoch kaum erfüllen. Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass die Betroffenen sich in Ihrer Not an Suizidhilfeorganisationen wenden würden, die sich von der durch den Entwurf intendierten regelhaften Missbilligung der Suizidassistenz nicht beeindrucken lassen. Das suizidpräventive Potential eines ergebnisoffenen Gesprächs über vorhandene Suizidwünsche mit einem Arzt, den die Betroffenen kennen und dem sie besonders vertrauen, bliebe damit ungenutzt.
3. Überzogene Verfahrensanforderungen
Der Druck, sich zur Erlangung von Suizidhilfe an die Suizidhilfeorganisationen zu wenden, würde durch die hohen Verfahrensanforderungen, die der Entwurf an die rechtmäßige Gewährung professioneller Suizidassistenz stellt, weiter verstärkt. Die Feststellung der Freiverantwortlichkeit hat nach dem Entwurf ausnahmslos durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie zu erfolgen, der die zum Suizid entschlossene Person in der Regel an mindestens zwei Terminen zu untersuchen hat, zwischen denen ein Mindestabstand von mindestens drei Monaten liegen muss (§ 217 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB-E). Nur in begründeten Ausnahmefällen, insbesondere wenn zwei Untersuchungstermine der zur Selbsttötung entschlossenen Person nicht zumutbar sind und nach der fachlichen Überzeugung des untersuchenden Facharztes von einer weiteren Untersuchung offensichtlich keine weitere Erkenntnis zu erwarten ist, soll die Feststellung der Freiverantwortlichkeit nach nur einem Untersuchungstermin erfolgen können.
Außerdem ist zur Rechtfertigung eine umfassende und ergebnisoffene Beratung vorgesehen, die zwischen den fachärztlichen Untersuchungsterminen zu erfolgen habe und von dem untersuchenden Facharzt auf die individuelle Situation abzustimmen sei. Dieser soll aufgrund der individuellen Motivation für den beabsichtigten Suizid darüber entscheiden, ob die Beratung durch einen weiteren Arzt, einen Psychotherapeuten, eine psychosoziale Beratungsstelle, eine Suchtberatung oder eine Schuldenberatung zu erfolgen hat (§ 217 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StGB-E). Zusätzlich sieht der Entwurf eine Wartefrist von zwei Wochen vor, die im Regelfall[20] mit der letzten psychiatrischen Untersuchung beginnt. Um die Aktualität dieser Untersuchung zu gewährleisten, dürfe die Selbsttötung höchstens zwei Monate nach der letzten psychiatrischen Untersuchung erfolgen (§ 217 Abs. 2 Nr. 4 StGB-E), so dass im Ergebnis sechs Wochen zur Verfügung stünden, um sie zu vollziehen. Mit dem von dieser Frist naturgemäß ausgehenden Druck zu einem zeitnahen Vollzug des Suizids erweist der Entwurf der Suizidprävention einen zusätzlichen Bärendienst.[21]
Problematisch ist aber vor allem die zwingend vorgeschriebene fachärztliche psychiatrische Begutachtung, die sich zudem noch regelmäßig über mindestens drei Monate erstrecken muss. Zwar ist es richtig, dass in Zweifelsfällen die Freiverantwortlichkeit nicht ohne eine psychiatrische Begutachtung festgestellt werden kann. Aber deren zwingende Notwendigkeit mutet selbst schwer erkrankten, nur noch palliativ behandelten Personen auch dann eine psychiatrische Untersuchung zu, wenn die Freiverantwortlichkeit ihrer Suizidentscheidung den behandelnden Ärzten in keiner Weise zweifelhaft erscheint. Dies ist zur Gewährleistung der Freiverantwortlichkeit nicht erforderlich[22] und würde in Anbetracht der ohnehin vorhandenen Engpässe in der psychiatrischen Versorgung in der Praxis ebenfalls dazu führen, dass die Betroffenen für die Inanspruchnahme von Suizidhilfe auf Suizidhilfeorganisationen angewiesen sind, die durch die offenbar bereits in Angriff genommene[23] Einstellung von Psychiatern für eine zeitnahe Begutachtung Sorge tragen können.
C. Fazit
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass „less of the same“ nicht funktionieren wird. Die aus verfassungsrechtlichen Gründen notwendige Ausnahme von der Strafbarkeit professioneller Suizidassistenz führt dazu, dass das rechtspolitische Anliegen des für nichtig erklärten § 217 StGB nicht mehr verwirklicht werden kann. Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht die Wiedereinführung des durch einen enggefassten Rechtfertigungsgrund ergänzten § 217 StGB entgegen den skizzierten Bedenken noch als verfassungsgemäß ansehen sollte, würde sie ihr rechtspolitisches Ziel der Zurückdrängung der Tätigkeit von Suizidhilfeorganisationen mit nicht erreichen, sondern stattdessen vor allem einer nicht organisiert geleisteten ärztlichen Suizidassistenz entgegenwirken und damit dazu beitragen, dass Personen, die einen Suizid erwägen, sich zur Verwirklichung ihres Rechts auf selbstbestimmtes Sterben noch verstärkt an Suizidhilfeorganisationen wenden müssten.
Der Deutsche Bundestag wäre deshalb gut beraten, nicht „trotzig“[24] auf dem 2015 mit dem Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung eingeschlagenen Weg zu beharren. Wer Suizidhilfeorganisationen nicht das Feld überlassen und das suizidpräventive Potential eines ergebnisoffenen Gesprächs über vorhandene Suizidwünsche mit einem Arzt des Vertrauens nutzen will, sollte die Entscheidung über die Gewährung von Suizidhilfe nach Möglichkeit in das Arzt-Patienten-Verhältnis verlagern. Dazu sind Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen sich zumindest ein Teil der Ärzte dazu bereitfinden könnte, den von ihnen betreuten Patienten auch Suizidassistenz zu leisten. Dies ist schwierig genug,[25] kann aber jedenfalls nur gelingen, wenn auf regelhafte Kriminalisierung ärztlicher Suizidassistenz verzichtet und ein bei der Verschreibung zum Suizid geeigneter Betäubungs- und Arzneimittel zu beachtendes Verfahren außerhalb des Strafrechts geregelt wird. Hierzu enthalten die beiden das Recht auf selbstbestimmtes Sterben in den Vordergrund stellenden Gesetzentwürfe mit unterschiedlicher Akzentsetzung diskutable Vorschläge.[26]
Eine der Verwirklichung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben verpflichtete Regulierung der Suizidassistenz würde den anerkanntermaßen hohe Stellenwert der Suizidprävention[27] in keiner Weise schmälern. Die Gewährleistung von Selbstbestimmung am Lebensende darf sich schon deshalb nicht in der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Suizidassistenz erschöpfen, weil auch freiverantwortliche Suizidentscheidungen in aller Regel auf als nicht mehr erträglich empfundenen Belastungen des eigenen Lebens beruhen.[28] Diese tatsächlichen oder u.U. auch nur befürchteten Belastungen zu beseitigen oder zumindest abzumildern und so den Spielraum des Betroffenen für selbstbestimmte Entscheidungen zu erweitern bzw. wiederherzustellen, ist und bleibt die zentrale Aufgabe einer das Recht auf selbstbestimmtes Sterben respektierenden Suizidprävention. Suizidprävention hat darüber hinaus durch persönliche Anteilnahme, Wertschätzung und Zuwendung zum Weiterleben zu ermutigen, bei alledem jedoch anzuerkennen, dass letztendlich die Betroffenen darüber zu entscheiden haben, ob sie mit nicht zu beseitigenden Belastungen ihrer Lebens weiterleben wollen oder nicht.
DOI: 10.13154/294-9672
ISSN: 2940-3170
[1] BVerfGE 153, 182.
[2] Durch das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung v. 3.12.2015, BGBl. I, S. 2177.
[3] Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Suizidhilfe, BT-Drucks. 20/2332 und Entwurf eines Gesetzes zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Änderung weiterer Gesetze, BT-Drucks. 20/2293.
[4] Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung, BT-Drucks. 20/904.
[5] Vgl. zu den Voraussetzungen einer freiverantwortlichen Suizidentscheidung die eingehende Darstellung in der Stellungnahme des Deutschen Ethikrats, Suizid – Verantwortung, Prävention und Freiverantwortlichkeit (2022), S. 66 ff. m.w.N.
[6] Vgl. etwa BGH NJW 2019, 3092 (3093 f.) m.w.N.
[7] Vgl. dazu Frister, Strafrecht AT (9. Aufl. 2020), Kap. 27 Rn. 5 m.w.N.
[8] Vgl. die Ausführungen in der Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drucks. 18/5373, S. 9.
[9] Nach der Vorstellung des Gesetzgebers des Jahres 2015 sollte es für die Geschäftsmäßigkeit ausreichen, dass jemand die Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung der Gelegenheit zur Selbsttötung zu einem wiederkehrenden Bestandteil seiner Tätigkeit macht. Eine Gewinnerzielungsabsicht oder ein Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit sei dafür nicht erforderlich (BT-Drucks. 18/5373, S. 17). Auch nach der Begründung des Entwurfs soll für die Geschäftsmäßigkeit die bloße Wiederholungsabsicht ausreichen (BT-Drucks. 20/904, S. 12).
[10] Nach der Entwurfsbegründung soll im Ergebnis jede Suizidförderung geschäftsmäßig sein, die nicht in einer „außergewöhnlichen, einmaligen Konfliktsituation“ erfolgt (BT-Drucks. 20/904, S. 12). Diese Formulierung verkennt, dass zu einem Suizid motivierende Konfliktsituationen nicht „einmalig“ sind, sondern bei anderen Personen in gleicher oder zumindest vergleichbarer Form wieder auftreten können.
[11] Zu den vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Wahrung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben im strafrechtlichen Schrifttum unternommenen Versuchen einer restriktiveren Auslegung des Begriffs der Geschäftsmäßigkeit in § 217 StGB a.F. vgl. die Nachweise bei NK-StGB/Saliger (5. Aufl. 2017) § 217 Rn. 24 ff.
[12] In der Begründung des Entwurfs wird lediglich ausgeführt, dass das Bundesverfassungsgericht keine Verletzung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) durch den Begriff der Geschäftsmäßigkeit festgestellt habe. Dies ist zwar richtig, verkennt aber die rechtspolitische Stoßrichtung der Kritik und ist darüber hinaus insofern wenig aussagekräftig, als das Gericht aufgrund der festgestellten Verletzung des Rechts auf selbstbestimmten Sterben gar keinen Anlass mehr hatte, sich mit der Frage der hinreichenden Bestimmtheit des Begriffs der Geschäftsmäßigkeit zu beschäftigen.
[13] Eine solche Regelung sahen der im Mai 2021 veröffentlichte Diskussionsentwurf aus dem Hause des ehemaligen Bundesgesundheitsministers Spahn und –mit deutlichen geringeren Anforderungen an das einzuhaltende Verfahren – der Entwurf von Borasio/Jox/Taupitz/Wiese, Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben, 2. Aufl. 2020, vor. Die Einhaltung des vorgeschriebenen Verfahrens war dort allerdings jeweils als Tatbestandsauschließungsgrund ausgestaltet; vgl. zu beiden Entwürfen Frister in: Aktuelle Entwicklungen im Medizinstrafrecht (2022), S. 87 ff.
[14] BVerfGE 153, 182 (287 f.).
[15] Vgl. etwa Hecker, StV 2023, 57 (60 ff.); Schlink, ZRP 2022, 126 ff.; zumindest implizit auch Rostalski GA 2022, 209 (218 ff.).
[16] Knauer, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung vom 28.11.2022, abgedruckt in der Anlage zum Wortprotokoll, S. 211 (214 ff.); abrufbar auf der Homepage des Deutschen Bundestags unter https://www.bundestag.de/resource/blob/925698/fefb7555b288cf3246d8e9005f5e4778/Stellungnahmen-gesamt-zum-Wortprotokoll-data.pdf (zuletzt abgerufen am 8.2.2023).
[17] So die Argumentation in der Begründung des Entwurfs BT-Drucks. 20/904, S. 2 f., 8 u. 12 f.
[18] Sinn, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung vom 28.11.2022, abgedruckt in der Anlage zum Wortprotokoll, S. 268 (273 ff.); abrufbar auf der Homepage des Deutschen Bundestags unter https://www.bundestag.de/resource/blob/925698/fefb7555b288cf3246d8e9005f5e4778/Stellungnahmen-gesamt-zum-Wortprotokoll-data.pdf (zuletzt abgerufen am 8.2.2023).
[19] Der 124. Deutschen Ärztetag hat bereits im Mai 2020 das berufsrechtliche Verbot der Suizidassistenz aus der Musterberufsordnung für Ärztinnen und Ärzte gestrichen. Diese Streichung ist inzwischen von allen zehn Ärztekammern,die das Verbot der Suizidassistenz in ihre Berufsordnung übernommen hatten, umgesetzt worden.
[20] Unklar ist, wann nach dem Entwurf die Wartefrist und die zweimonatige Frist für den Vollzug des Suizids beginnt, wenn die Feststellung der Freiverantwortlichkeit ausnahmsweise schon nach nur einem fachärztlichen Beratungstermin und damit vor der erforderlichen Beratung erfolgt. Die Begründung des Entwurfs weist zwar darauf hin, dass das Beratungserfordernis und die Wartefrist hiervon unberührt bleiben (BR-Drucks. 20/904, S. 17), scheint aber übersehen zu haben, dass dann die Regelung für den Beginn der Wartefrist und der zweimonatigen Frist für den Vollzug des Suizids nicht mehr passt.
[21] Die Verfasser des Entwurfs scheinen sich dieses Problems nicht bewusst zu sein. Die Begründung verweist lediglich darauf, dass die Frist dem verfassungsrechtlich geschützten Recht des Einzelnen, aufgrund freier Entscheidung mit Unterstützung Dritter aus dem Leben zu scheiden, auch faktisch noch hinreichenden Raum zur Entfaltung und Umsetzung lasse (BT-Drucks. 20/904, S. 16).
[22] Zumindest mit einer darauf gerichteten Fortbildung, die für die Ausübung von Suizidassistenz zu fordern wäre, sollten Ärzte durchaus beurteilen können, in welchen Fällen die Hinzuziehung psychiatrischer Expertise zur Beurteilung der Freiverantwortlichkeit der Suizidentscheidung erforderlich ist.
[23] Nach einer Mitteilung in der Zeitschrift medstra (Heft 6/2022, R4 f.), hat der „Verein Sterbehilfe“ bereits eine entsprechende Stellenanzeige geschaltet.
[24] Vgl. den Titel des Beitrags von Schlink, ZRP 2022, 126: „Ein trotziger Bundestag?“.
[25] Realistischerweise wird man davon ausgehen müssen, dass derzeit nur eine Minderheit der deutschen Ärzte Suizidassistenz mit ihrem Berufsverständnis vereinbaren kann und auch von dieser Minderheit nur ein Teil dazu bereit sein wird, selbst Suizidassistenz zu leisten. Ein als verlässlich wahrgenommener rechtlicher Rahmen könnte aber dazu führen, dass sich in Zukunft mehr Ärzte die Frage stellen, ob es nicht auch ihre Aufgabe sein kann, ihren Patienten die Ausübung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben mit medizinischer Fachkompetenz in einer zumutbaren, möglichst schonenden Art und Weise zu ermöglichen.
[26] Vgl. zu diesen Vorschlägen Frister in: Aktuelle Entwicklungen im Medizinstrafrecht (2022), S. 77 (96 ff.) sowie in der schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss vom 28.11.2022, abgedruckt in der Anlage zum Wortprotokoll, S. 86 (101ff.), abrufbar auf der Homepage des Deutschen Bundestags unter https://www.bundestag.de/resource/blob/925698/fefb7555b288cf3246d8e9005f5e4778/Stellungnahmen-gesamt-zum-Wortprotokoll-data.pdf (zuletzt abgerufen am 8.2.2023).
[27] Vgl. dazu den Entschließungsantrag „Suizidprävention stärken und selbstbestimmtes Leben ermöglichen“, BT-Drucks. 20/1121, und die Stellungnahme des Deutschen Ethikrats, Suizid – Verantwortung, Prävention und Freiverantwortlichkeit (2022), S. 109 ff.
[28] Vgl. dazu eingehend die Stellungnahme des Deutschen Ethikrats, Suizid – Verantwortung, Prävention und Freiverantwortlichkeit, S. 105 ff.
Schreibe einen Kommentar