Rechtliche Rahmenbedingungen der Gesundheitsfürsorge von Trans*-Personen


  • Dr. Jennifer Grafe, LL.M.

    Die Autorin ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Internationales Strafrecht (Prof. Dr. Gereon Wolters) an der Ruhr-Universität Bochum sowie Dezentrale Gleichstellungs- und Diversitätsbeauftragte der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum.

Abstract: Die Gesundheitsfürsorge für Trans*-Personen steht in der Medizin und den Rechtswissenschaften vor zentralen Veränderungen. Die Entpathologisierung der Geschlechtsinkongruenz und die geplante Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes werfen viele rechtliche Fragen auf. Neben der derzeit von Rechtsunsicherheiten geprägten, viel diskutierten Kostenübernahme geschlechtsverändernder Maßnahmen durch die gesetzlichen Krankenkasse verblasst die Wichtigkeit einer diskriminierungsfreien allgemeinen Gesundheitsversorgung oftmals. Nach der Abschaffung des sog. „Blutspendeverbots“ für Trans*-Personen sind rechtlich relevante Fragen weiterhin die Sicherstellung diskriminierungsfreier Vorsorgeuntersuchungen, daneben das Abstammungsrecht und die Kostenübernahme für Reproduktionsmedizin, die einen Kinderwunsch von Trans*-Personen erfüllbar machen. Erste Fortschritte sind auf dem Gebiet des Schutzes intergeschlechtlicher Kinder vor medizinischen Eingriffen und dem Verbot sog. Konversionsmaßnahmen, also der Versuch der „Heilung“ von Trans*-Personen, zu verzeichnen.

Ein Blick nach Texas drängt uns dieser Tage nahezu auf, uns mit der Gesundheitsversorgung von Trans*-Personen in Deutschland zu beschäftigen. Dort wurde jüngst ein Gesetzesentwurf eingebracht, der faktisch jede geschlechtsverändernde medizinische Maßnahme unterbinden soll.[1]  Konsequenz aus diesem Gesetz wird auch der Wegfall der Berufshaftpflicht für die den geschlechtsverändernden Eingriff durchführende Person sein. In Deutschland werden Trans*-Personen weniger Steine in den Weg gelegt und doch darf man nicht unberücksichtigt lassen, dass viele Gesetze, die sich mit der medizinischen Versorgung beschäftigen, lange vor einem breiten Verständnis für die Bedürfnisse von Trans*-Personen verabschiedet wurden. Validieren lässt sich das schon mit einem Blick auf das aktuelle Transsexuellengesetz, das insgesamt sieben Mal in Teilen vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde.[2] 

Besondere Schwierigkeit bereitet eine rechtliche Betrachtung der Gesundheitsversorgung von Trans*-Personen, weil beide dort zusammentreffende Disziplinen derzeit im Wandel sind. Die Etablierung der neuen Klassifizierung in der ICD-11 verändert den bisherigen Krankheitswert der sogenannten „Transsexualität“. Das Selbstbestimmungsgesetz soll das Transsexuellengesetz noch in diesem Jahr ablösen und zur Änderung des Geschlechtseintrags eine Erklärung mit Eigenversicherung beim Standesamt, dass die Geschlechtsidentität nicht mit dem Geschlechtseintrag übereinstimmt, ausreichen lassen. Weder die Vorlage eines ärztlichen Attests noch eine Begutachtung sollen nötig sein. Jede rechtliche Einordnung ist daher aktuell eine Momentaufnahme. Der juristische Blick verdichtet sich zumeist schnell auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Kostenübernahme von geschlechtsverändernden Maßnahmen, auf die auch im Folgenden in aller Kürze einzugehen sein wird, lässt aber häufig außer Acht, dass auch darüber hinaus an eine hinreichende und diskriminierungsfreie medizinische und psychologische Versorgung besondere Anforderungen zu stellen sind.

I.              Aktuelle Entwicklungen

Zur Schaffung einer Tatsachenbasis lohnt ein Blick auf die aktuelle Entwicklung in der Medizin und den Rechtswissenschaften, sowie ein Seitenblick auf die gesellschaftliche Entwicklung.

1.             Das Selbstbestimmungsgesetz

Das Transsexuellengesetz vom 10. September 1980 hat seine heutige Fassung vor allem durch diverse Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts erlangt, das immer wieder Teile für verfassungswidrig erklärt hat. Faktisch entspricht daher mittlerweile die Vornamensänderung (§§ 1 bis 7 TSG) der Geschlechtsänderung (§§ 8 bis 12 TSG). Beides setzt voraus, dass die antragstellende Person sich einem anderen Geschlecht als zugehörig empfindet und seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, seinen Vorstellungen entsprechend zu leben. Zusätzlich muss mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass sich sein Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird. Darüber hinaus sind zwei Sachverständigengutachten erfahrener Gutachter*innen erforderlich, die die besondere Hürde des Verfahrens in zeitlicher und finanzieller Hinsicht darstellen. Der Koalitionsvertrag sieht daher die Etablierung eines Verfahrens beim Standesamt vor, das Änderungen des Geschlechtseintrags im Personenstand grundsätzlich per Selbstauskunft möglich macht.[3]  Geschlechtsverändernde Maßnahmen sind explizit keine Voraussetzung mehr. Das Gesetz verzögert sich seit einiger Zeit. Ursprünglich geplant war ein Inkrafttreten Mitte 2023, bisher liegt nicht einmal ein Gesetzesentwurf vor, der im Herbst 2022 im Bundestag verabschiedet werden sollte. Anknüpfungspunkt hiesiger Überlegungen für eine potenzielle Gesetzesänderung ist daher nach wie vor das im letzten Jahr veröffentlichte Eckpunktepapier.[4]

2.             Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-11)

Die internationale Klassifizierung von Krankheiten (ICD) wird von der Weltgesundheitsorganisation herausgegeben und vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in eine deutsche Fassung übertragen. Sie dient der Klassifizierung und Kodierung, insbesondere der Versorgung durch die gesetzlichen Krankenkassen. Die bis zum 1. Januar 2022 geltenden ICD-10 klassifizierte sogenannten Transsexualismus als psychiatrische Störung (F64.0), genauer als Störungen der Geschlechtsidentität. Nach heutigem medizinischem Verständnis ist hingegen nicht jede vom biologischen Geschlecht abweichende selbstempfundene geschlechtliche Identität eine Krankheit. Daher klassifiziert die ICD-11 Geschlechtsinkongruenz nun als „Conditions related to sexual health“. Die vollständige deutsche Übersetzung der ICD-11 steht noch aus. Die neue medizinische Diagnose lautet „HA60 Geschlechtsinkongruenz im Jugend- und Erwachsenenalter“ und stellt keine Krankheit mehr dar. Ähnlich agiert das „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM)” der American Psychiatric Association: Trifft eine Geschlechtsinkongruenz zusammen mit Leid in krankhafter Form, lautet die Diagnose Geschlechtsdysphorie. Die Geschlechtsinkongruenz allein begründet keine Krankheitsdiagnose. Festzuhalten bleibt, dass Geschlechtsinkongruenz allein nach heutigem medizinischem keine Krankheit begründet, sondern erst im Einklang mit Leid aufgrund dieser. Daran muss sich die Feststellung anschließen, dass das Vorliegen einer Krankheit nicht zwingend einen behandlungsbedürftigen Zustand bedingt. Eine Krankheit kann, muss aber nicht behandlungsbedürftig sein. Behandlungen müssen indiziert sein und diese Indikation ist nicht gleichzustellen mit der Diagnose, sondern bedarf der Betrachtung des Gesamtzustands.

3.             Exkurs: Trans* ist keine Mode!

Abhängig vom aktuellen Skandal, zumeist ausgelöst durch harmlose Aufklärungspostings in den sozialen Medien, werden die Stimmen bekannter und weniger bekannter Menschen lauter oder leiser, die in der Selbstbezeichnung als trans* eine Art Mode verorten möchte – ähnlich dem neuesten Sneaker, der die Schulhöfe Deutschland ziert. Das daraus abgeleitete juristische Argument ist nicht weit: Trans*-Personen sind eine Randerscheinung und die breite mediale Aufmerksamkeit ist nur jenen Menschen geschuldet, die „modern“ oder „anders“ sein mögen und sich damit von der Maße abheben wollen. Entsprechend sei es Aufgabe der Legislative, Menschen vor übereilten Entschlüssen zu schützen, nicht aber, das Phänomen gar mit fördernden Gesetzen zu unterstützen. Die Zahlen des Statistischen Bundesamts sprechen eine andere Sprache: 2155 Menschen ließen 2020 in Deutschland eine geschlechtsangleichende Operation an sich vornehmen, das sind 7,3 Prozent weniger als im Vorjahr. Von den Eingriffen entfallen zwei Drittel auf Trans*-Frauen, die Mehrheit der Eingriffe wurde in der Altersgruppe 20 bis unter 30 durchgeführt. Auf Teenager zwischen 15 und 20 Jahren entfielen 7,6 Prozent der Operationen. Zwar hat die Zahl der Eingriffe und im Übrigen auch der Beratungen stetig zugenommen, das wird aber auch darauf zurückzuführen sein, dass die Akzeptanz in der Gesellschaft gestiegen ist. Ein ähnliches Phänomen war in der Vergangenheit auch in Bezug auf Homosexualität zu beobachten.

II.           Geschlechtsverändernde Maßnahmen

Der Koalitionsvertrag verspricht: „Die Kosten für geschlechtsangleichende Behandlungen müssen vollständig von der GKV übernommen werden.“[5] Die Formulierung drängt dem Laien auf, dass eine Kostenübernahme derzeit wohl nicht möglich sei. Geschlechtsverändernde Maßnahmen, häufig auch geschlechtsangleichende Maßnahmen genannt,[6] sind zunächst Hormontherapien, also die Gabe von Östrogenen oder Testosteron, wobei zu unterscheiden ist, ob die Pubertät bereits abgeschlossen ist oder ob bereits die Pubertätsunterdrückung bezweckt werden soll. Darüber hinaus ist erfasst die Entfernungen des Uterus (Hysterektomie), des Scheidengewebes (Kolpektomie), der Eierstöcke (Ovarektomie) und der Brüste (Mastektomie), sowie der plastische operative Aufbau von äußeren Geschlechtsmerkmalen wie Penis und Hoden (Penoidrekonstruktion, Phalloplastik oder Klitorispenoid). Die Kosten pro Operation bewegen sich zwischen 5.000 und 15.000 Euro.

Die Kostenübernahme durch gesetzliche Krankenkassen knüpft § 27 Abs. 1 SGB V daran, dass eine Krankenbehandlung notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Orientieren muss sich die Behandlung am medizinischen Standard, § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V. Die Leistung muss weiterhin geeignet sein, den medizinisch definierten Zweck zu bestimmen. Geschlechtsverändernde Maßnahmen werden nach der ständigen Rechtsprechung auf dieser Grundlage nicht schon dann übernommen, wenn eine Geschlechtsinkongruenz festgestellt wurde;[7] denn dieser Zustand allein bedeutet noch keine Krankheit, die einen medizinischen Eingriff notwendig macht. Das bedeutet, dass die Änderung der ICD auf die derzeitige Rechtslage keinen Einfluss hat. Vielmehr werden die Kosten dann von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen, wenn ein Leidensdruck vorliegt und die gewählten Maßnahmen diesen Leidensdruck reduzieren können, also medizinisch indiziert sind.[8] Ob ein Leidensdruck vorliegt, überlässt die Rechtsprechung der medizinischen Bewertung; daher sind mindestens zwei voneinander unabhängige Gutachten erforderlich, die bestätigen, dass ein Leidensdruck vorliegt und dieser durch die angestrebte Maßnahme gemindert oder beseitigt werden kann. Zu unterschiedlichen medizinischen Maßnahmen liegen jeweils unterschiedliche Empfehlungen und Leitlinien verschiedener Organisationen vor. Diese geben Auskunft darüber, ob eine Maßnahme indiziert ist, also ob sie in einem bestimmten Fall notwendig ist, das bestehende Leid zu reduzieren. Eine umfassende Darstellung dieser medizinischen Aspekte ist an dieser Stelle nicht möglich, die rechtlichen Rahmenbedingungen bleiben jedoch stets dieselben. Der Umfang des Anspruchs ist beschränkt. Übernommen werden nur solche Leistungen, die eine Annäherung an das angestrebte Geschlecht bewirken, keine „möglich große Annäherung an ein vermeintliches Idealbild.“[9]

Angesichts dieses Ergebnisses mag es überraschen, dass der Koalitionsvertrag eine Regelung für die Kostenübernahme plant. Die hier und auch vom Bundessozialgericht vertretene Auffassung beruht auf einer Auslegung eines Gesetzes. Auslegungen haben gemein, dass es zumeist mehr als eine von ihnen gibt. So führte das Landessozialgericht Baden-Württemberg aus, dass eine Entpathologisierung von Transsexualität auch mit bestehendem Leidensdruck zum Wegfall des Kostenübernahmeanspruchs führen könne.[10] Dieses fehlerhafte Verständnis einer medizinisch überholten Vorstellung eines Krankheitsbildes Transsexualität[11] führt entsprechend dazu, dass die Kostenübernahme bei non-binären Personen insoweit konsequenterweise abgelehnt werden musste, weil keine Angleichung an ein anderes Geschlecht stattgefunden habe.[12] Diese Auffassungen lassen sich nach bestehender Rechtslage zutreffend kritisieren.[13]

Schon in der Kürze dieser Ausführungen zeigen sich erhebliche Rechtsunsicherheiten, denen nur der Gesetzgeber zu begegnen vermag. Die Eckpunkte für das Selbstbestimmungsgesetz sehen anders als erwartet die Umsetzung der Kostenübernahme noch nicht vor. Es ist daher nicht absehbar, ob und wenn ja, inwiefern die Zukunft hier Änderungen bringen wird. Es mag politisch sinnvoll sein, Fragen nach dem Personenstand von Fragen nach der Gesundheitsversorgung zu trennen, um das Gesetz leichter durchsetzbar zu machen. Befriedigend ist das indes nicht.

III.        Diskriminierungsfreie allgemeine Gesundheitsversorgung

Dass Hormonbehandlungen und geschlechtsverändernde Operationen bei der Betrachtung der medizinrechtlichen Besonderheiten bei Trans*-Personen im Vordergrund stehen, mag auch daran liegen, dass die hier wohl der allermeiste Handlungsbedarf des Gesetzgebers besteht und der Leidensdruck der Betroffenen sehr zentral und nicht selten sehr hoch ist. Möchte man die Gesundheitsfürsorge von Trans*-Personen umfassender in den Blick nehmen, darf sich die Betrachtung aber nicht auf dieses eine Thema verengen. Denn auch die allgemeine Gesundheitsversorgung, zu der neben klassischen medizinischen Untersuchungen auch die Psychotherapie zählt, ist bis heute nicht diskriminierungsfrei ausgestaltet. Bei einer ersten Studie zur Gesundheitsversorgung von Trans*-Personen aus dem Jahre 2014, gaben 17 Prozent der Befragten aus Deutschland an, dass ihre spezifischen Bedürfnisse in der Gesundheitsversorgung ignoriert werden.[14] 21 Prozent der Befragten sahen sich mit unangemessener oder grenzverletzender Neugierde konfrontiert und 12 Prozent hatten grundsätzliche Schwierigkeiten, Zugang zur Gesundheitsvorsorge zu bekommen.[15] Die Vielfaltskampagne des Landes Niedersachsen sammelte Beispiele, die unter anderem Positiv- (etwa die betonte Zuteilung eines Einzelzimmers) und Negativdiskriminierung (Trans*-Frauen wurden mit Männern in ein Zimmer gelegt) aufzeigten.[16]

1.             (Vorsorge-)untersuchungen

Ob und wenn ja welche Vorsorgeuntersuchungen für eine Person sinnvoll sind, ist für gewöhnlich eine medizinische Einschätzung und entzieht sich juristisch eindeutiger Kriterien. So kann es auch ohne geschlechtsverändernde Operationen angezeigt sein, gynäkologische oder urologische Untersuchungen durchzuführen, weil die spezifischen gesundheitlichen Probleme in das jeweilige Fachgebiet fallen. Dem steht grundsätzlich das Recht nicht entgegen. Problematisch können derartige Untersuchungen aber dann werden, wenn es um die Kostenübernahme dieser Untersuchungen durch die gesetzlichen Krankenkassen geht. So entschied das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg auf der Grundlage des Bundesmantelvertrags für Ärzte die Abrechnung der Versorgung von biologischen Männern einer Facharztpraxis für Frauenheilkunde und Geburtshilfe sei gem. § 75 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit § 45 Abs. 2 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte bzw. § 34 Abs. 4 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen sei sachlich falsch, da eine Vergütung der Behandlung von biologischen Männern nicht bzw. maximal bis zu einem Prozentsatz von zwei % der behandelten Patient*innen in besonderen Fällen (etwa reproduktionsmedizinische Behandlung) möglich sei[17]; diese Regelung beruht auf einem Vorstandsbeschluss vom 26. Februar 1997.[18] Verwiesen wird insoweit auch auf die ständige Rechtsprechung, die für fachfremde Leistungen (wie etwa die Untersuchung endokrinologischer Parameter der Hodenfunktion) keinen Vergütungsanspruch vorsieht.[19] Eine Änderung dieser Rechtsprechung ist bis heute nicht eingetreten.[20] Menschen mit Personenstandsänderung, aber ohne Genitaloperation müssen daher weiterhin ihrem biologischen Geschlecht entsprechend gynäkologische und urologische Untersuchungen vornehmen lassen, finden dafür aber häufig keine geeigneten Ärzt*innen, die eine diskriminierungsfreie Behandlung ermöglichen. Einige Kassenärztliche Vereinigungen versuchen, diesen Problemen eigenständig zu begegnen, sodass es etwa bei der Abrechnung der gynäkologischen Behandlungen von biologischen Männern mit Brustkrebs zu sehr unterschiedlichen Regelungen kommt.[21] Das wiederum erschwert das Erfüllen manch verpflichtender Vorsorgeuntersuchungen und zieht entsprechend weitreichendere Konsequenzen nach sich, wenn es wegen der fehlenden Vorsorge im weiteren Lebensverlauf zu schwerwiegenden Krankheiten kommt.

Neben der notwendigen Anpassung dieser Abrechnungsproblematik ist es darüber hinaus erforderlich, Sensibilisierung für geschlechtliche Vielfalt als verpflichtenden Bestandteil des Studiums und der Ausbildung für alle medizinischen Berufe zu machen. Auch entsprechende Fortbildungen müssen angeboten und angemessen anerkannt werden.

2.             Kinderwunsch(behandlungen)

Seit moderne Reproduktionsmedizin einen Kinderwunsch zumindest theoretisch in den meisten Fällen zu erfüllen vermag, muss ein Kinderwunsch von Trans*-Personen nicht mehr zwingend unerfüllt bleiben. Studien zeigen auf, dass ein Kinderwunsch bei Trans*-Personen nicht weniger wahrscheinlich ist, als er bei Cis-Personen[22] vorkommt.[23] Ein solcher Kinderwunsch birgt gleich zwei rechtliche Herausforderungen: Zum einen die rechtliche Anerkennung einer Elternschaft, zum anderen die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenkasse. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf Maßnahmen, die eine ärztliche Unterstützung erfordern und lassen intravaginale Insemination (auch „Bechermethode“ genannt) außer Acht.

a)             Elternschaft

§ 1591 BGB regelt die rechtliche Mutterschaft. Mutter eines Kindes ist demnach die Person, die es geboren hat. Damit wird ein Trans*-Mann, der ein Kind gebärt, Mutter des von ihm geborenen Kindes. Da jedes Kind nur eine Mutter hat, kann eine Trans*-Frau nach aktueller Rechtslage nicht von Geburt an (auch) Mutter des Kindes werden. Möglich ist aber die sogenannte Sukzessivadoption (§ 1741 Abs. 3 S. 2 BGB), die eine Vater- oder Mutterschaft begründen kann. Vater des Kindes ist nach § 1592 BGB der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, der die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft nach § 1600d oder § 182 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gerichtlich festgestellt ist. Anknüpfungspunkte für „Mann“ und „Frau“ nach dem Gesetzeswortlaut ist jeweils das biologische Geschlecht.[24] Die genetische Herkunft des Kindes spielt keine Rolle.[25] Ein den Begriffen entgegenstehender oder diverser Geschlechtseintrag hindert die Eintragung als „Mutter“ oder „Vater“ nicht.[26] Sind demnach zwei Trans*-Personen bei der Geburt verheiratet und gebärt der Trans*-Mann das Kind, wird dieser Mutter, die Trans*-Frau der Vater (ohne die Möglichkeit, auch Mutter zu werden, da bei Vorliegen der Vaterschaft eine Sukzessivadoption ausgeschlossen ist). Denkbar sind darüber hinaus verschiedenste Konstellationen, wobei Hauptanknüpfungspunkt für den Gesetzgeber stets die Problematik bleibt, dass die gebärende Person immer Mutter und niemals Vater sein kann. Aktuell sind mehrere Verfahren vor dem EGMR anhängig, die diese Problematik zum Gegenstand haben. Darunter befinden sich auch zwei Fälle aus Deutschland, ein Trans*-Mann, der ein Kind geboren hat und eine Trans*-Frau, die ein Kind gezeugt hat. Die Entscheidungen stehen noch aus. Eine gesetzliche Regelung für Mehrpersonenkonstellationen gibt es bisher nicht. Aktuell können höchstens zwei Personen in die Geburtsurkunde eines Kindes eingetragen werden und die Anzahl der sorgeberechtigten Personen ist ebenfalls auf höchstens zwei beschränkt. Rechtliche Elternschaft für mehr als zwei Personen zu beantragen, ist nicht möglich. Entschließt man sich für ein Kind, sollte man diese Umstände nicht unberücksichtigt lassen und sich rechtzeitig mit den rechtlichen Rahmenbedingungen auseinandersetzen.

Für diese Legislaturperiode ist eine Neufassung des Abstammungsrechts geplant. Das Eckpunktepapier des Selbstbestimmungsgesetzes verspricht für die Zwischenzeit eine „Interimslösung“, damit bei Vorlage der Geburtsurkunde keine Offenbarung (das Gesetz soll ein bußgeldbewehrtes Offenbarungsverbot vorsehen) notwendig wird. Die aktuell angekündigte Umsetzung der Bundesregierung wird Trans*-Eltern nur sehr begrenzt gerecht, da sie sich zunächst nur auf die Mutterschaft beziehen. Rechtliche Mutter eines Kindes, das in die Ehe zwischen zwei Frauen hineingeboren wird, soll dann nicht nur die gebärende Person, sondern auch die Ehegattin sein.

b)            Kostenübernahme

Einige Methoden der Reproduktionsmedizin wie Leihmutterschaft sind in Deutschland gesetzlich verboten. Auf die Möglichkeiten, diese Maßnahmen im Ausland durchführen zu lassen, soll hier nicht näher eingegangen werden – in Anbetracht obiger Ausführungen sollte aber stets berücksichtigt werden, dass die genetische Abstammung nach deutschem Recht kein rechtliches Abstammungsverhältnis zu den sog. „Wunscheltern“ begründet. Mutter eines Kindes ist also die Leihmutter; das Kind hat entsprechend keine deutsche Staatsangehörigkeit.

Eine wichtige Möglichkeit, die Reproduktionsfähigkeit zu erhalten, ist die Kryokonservierung (Einfrieren von Spermien oder Eizellen) vor Beginn einer Hormontherapie. Homologe und heterologe Samenspenden[27] von Spermien und Eizelle werden in Deutschland rechtlich verschieden behandelt. Bei Spermien sind heterologe Spenden möglich, bei Eizellen hingegen nicht (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ESchG). Die Kosten für die Lagerung von Spermien bewegen sich zwischen 250 und 400 Euro pro Jahr. Die notwendigen Untersuchungen im Vorfeld sowie der Einfrierungsvorgang kosten um die 350 Euro. Die Kosten für die Einfrierung von Eizellen sind deutlich höher, hier ist mit mehreren tausend Euro zu rechnen; die Lagerungskosten entsprechen denen der Spermien.

Die Kosten für eine Kryokonservierung vor einer potenziell keimschädigenden Therapie (zu der neben einer Hormontherapie etwa auch Strahlentherapien zählen können) werden explizit seit dem 1. Juli 2022 von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen. Eine Kostenübernahme als Krankenbehandlung auf Basis des § 27 SGB V war bisher nicht möglich, da es sich in Fällen, in denen durch die Kryokonservierung eine spätere Befruchtung ermöglicht werden soll, nicht um eine Krankenbehandlung zur Wiederherstellung der Empfängnismöglichkeit handelt.[28] Basis für diese Leistung ist die Richtlinie zur Kryokonservierung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), erlassen auf Basis des neuen § 27 Abs. 5 SGB V,[29] die die Details des Leistungsanspruchs regelt. Die einzelnen Voraussetzungen finden sich in den soeben genannten Leitlinien; die Altersgrenze regelt § 27a Abs. 4 SGB V. Ob die Hormontherapie tatsächlich eine potenziell keimschädigende Therapie ist, hatte das Sozialgericht Berlin zu entscheiden.[30] Die Kostenübernahme war abgelehnt worden, weil die Unfruchtbarkeit eine unvermeidbare Folge einer Geschlechtsumwandlung sei und sie daher keine lediglich potenziell keimschädigende Therapie, sondern ein notwendiges Therapieziel sei.[31] Das Gericht stützt sich unter Verweis auf die Gesetzesbegründung, die Hormontherapien gerade als einen regelungsbedürftigen Fall im Blick hatte, auf die medizinische Notwendigkeit der Behandlung nach § 27 SGB V und der nicht bewussten Herbeiführung der Erkrankung. Die „Gefahr einer Unfruchtbarkeit“ schließe solche Fälle nicht aus, in denen die Unfruchtbarkeit sichere Folge der Behandlung sei.[32]

Die Kostenübernahme der künstlichen Befruchtung selbst ist an einige gesetzliche Bedingungen geknüpft, die § 27a SGB V regelt. Dies ist dann der Fall, wenn die Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind, hinreichende Aussicht besteht, dass eine Schwangerschaft herbeigeführt werden kann, die Personen miteinander verheiratet sind, ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden sowie eine ausreichende Unterrichtung der Ehegatten. Eine Kostenübernahme scheitert bei Trans*-Personen zumeist an einer dieser Voraussetzungen, insbesondere daran, dass Eizelle und Spermien von den Ehegatten zur Verfügung gestellt werden müssen, eine Samenspende aus einer Datenbank etwa kommt hier nicht in Betracht.

3.             Schutz intergeschlechtlicher Kinder vor medizinischen Eingriffen

Lange diskutiert, durch das Gesetz zum Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen[33] aber weitestgehend zufriedenstellend gelöst wurde der medizinische Eingriff an Kindern, die sich hinsichtlich ihrer chromosomalen, hormonalen oder anatomischen Merkmale nicht eindeutig in eine der beiden anerkannten Geschlechtskategorien „männlich“ und „weiblich“ einordnen lassen (sog. Intergeschlechtlichkeit). Obwohl bestehende medizinische Leitlinien davon abraten, unternahmen Ärzt*nnen bis heute gravierende und irreversible Eingriffe, um das körperliche Erscheinungsbild dieser Kinder dem binären Geschlechterbild von Mann und Frau anzupassen. Die wesentliche Regelung hierzu findet sich in § 1631e BGB; sie enthält ein Verbot medizinischer Behandlungen an Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung, die allein in der Absicht erfolgen, das körperliche Erscheinungsbild an das des männlichen oder weiblichen Geschlechts anzupassen. Kritisiert wird, dass das Gesetz nur lückenhaften Schutz bietet, weil sie an einem binären Geschlechtermodell festhält und den Ärzt*innen die Deutungshoheit über den Kreis der geschützten Kinder überlässt. Insoweit besteht auch hier weiterhin Handlungsbedarf.

4.             Blutspende

Es ließe sich hinreichend diskutieren, inwieweit die Möglichkeit, Blut zu spenden, sprachlich der Gesundheitsfürsorge bzw. Gesundheitsversorgung einer Person unterzuordnen ist. Ungeachtet dessen bedarf es angesichts der Aktualität den Hinweis darauf, dass das sogenannte Blutspendeverbot (das eine Rückstellung für vier Monate von der Spende bedeutete) für Trans*-Personen in Abschnitt 2.2.4.3.2.2 der Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Richtlinie Hämotherapie), erlassen auf der Grundlage der §§ 12a und 18 TFG nach dem Entschluss des Bundestags vom 16. März 2023 der Vergangenheit angehören dürfte. Die beschlossene Ergänzung des § 12a TFG sieht vor, dass die Richtlinie dergestalt angepasst werden muss, dass die Bewertung eines durch das Sexualverhalten bedingten Risikos, das zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung von der Spende führt, auf der Grundlage des jeweiligen individuellen Sexualverhaltens der spendewilligen Person zu erfolgen hat. Die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität dürfen bei der Bewertung des Risikos, das zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung von der Spende führt, nicht mehr berücksichtigt werden.

IV.        Verbotene Behandlungsmethoden

Neben bestehender Versorgungsmöglichkeiten beinhaltet eine diskriminierungsfreie Gesundheitsfürsorge auch das Ausbleiben gewisser „Behandlungsansätze“. Von der breiten Öffentlichkeit nahezu ungesehen, hat der Bundestag am 7. Mai 2020, nach einer Initiative des Bundesgesundheitsministers Spahn, das „Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen“ beschlossen. Am 12. Juni 2020 trat das Gesetz in Kraft, das die Vornahme von Konversionsmaßnahmen an Personen unter 18 Jahre und Einwilligende, die unter einem Willensmangel leiden, unter Strafe stellt.[34] Konversionsmaßnahmen, oder, wie das Gesetz sie fälschlicherweise nennt, Konversionsbehandlungen,[35]  sind nach § 1 Abs. 1 KonvBehSchG am Menschen durchgeführten Behandlungen, die auf die Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität gerichtet sind. Sofern man sich bereits ein wenig mit dem Phänomen beschäftigt hat, dürfte eine Assoziation mit zumeist religiösen Praktiken (bekannt ist etwa die „Ex-Gay-Bewegung“) bestehen. Ein Blick nach China und Malaysia, in denen staatliche Krankenhäuser Konversionsmaßnahmen anbieten[36] und auf die Historie der Website des Bundes Katholischer Ärzte in Deutschland,[37] die bis zum Erlass des Gesetzes Konversionsmaßnahmen positiv gegenüberstanden, zeigt hingegen die enge Verzahnung mit dem Gesundheitswesen. Die Methodiken sind dabei vielfältig: Biographiearbeit, religiöse Praktiken, Zwangs-Psychiatrisierungen, Aversions- und Elektroschocktherapie, Verstärkung von gendernormativen Verhalten, wozu etwa das Aufsuchen von gegengeschlechtlichen Prostituierten fällt, Training genderkonform ausgerichteter Fertigkeiten und die Gabe diverser Medikamente sowie systematische Desensibilisierung.[38] Konversionsmaßnahmen treten auch in der Psychotherapie auf. Einem Erfahrungsbericht zufolge äußerte eine Psychologin gegenüber der Berichtenden, sie werde versuchen, ihre Transsexualität zu behandeln, „damit sie endlich einen richtigen Partner finden und das Leben anfangen“ könne.[39] Aus der Therapie sei sie gebrochener herausgegangen, als sie es jemals gewesen sei.[40]

Das Verbot derartiger Maßnahmen bezieht sich derzeit nur auf Personen unter 18 Jahren und Erwachsene, die unter einem Willensmangel leiden.[41] Um seine Regelungen ranken sich daher einige Reformbestrebungen, die durch den jüngst im Bundeskabinett verabschiedeten Aktionsplan „Queer leben“ neuen Aufwind erfahren haben. Kernüberlegungen sind die Streichung der Schutzaltersgrenze von 18 Jahren (§ 2 Abs. 1 KonvBehSchG) sowie der Strafausnahme für Fürsorge- und Erziehungsberechtigten (§ 5 Abs. 2 KonvBehSchG). Während auf letztere angesichts ihrer rechtlichen Belanglosigkeit verzichtet werden kann, ist besondere Vorsicht und Sensibilität walten zu lassen, wenn die Schutzaltersgrenze zur Debatte steht. Sie nämlich bringt die verfassungsrechtlichen Belange zwischen Autonomie des Menschen und Schutzpflicht des Staates in einen angemessenen Ausgleich und ist unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Ablöseprozesses eines Nachkommen von seinen Fürsorge- und Erziehungspersonen und der damit einhergehenden Fähigkeit zu eigenständigen Entscheidungen zu ziehen.[42] Ein vollständiges Verbot könnte dem nicht gerecht werden, die besondere Vulnerabilität im Lebensalter vom Übergang der Pubertät in das Erwachsenenalter, die das 18. Lebensjahr nicht beendet und die Ausgestaltung des deutschen Bildungssystems, indem Personen zwischen 18 und 21 Jahren noch häufig von der Unterstützung der Eltern abhängig sind, begründen in verfassungsmäßiger Weise eine Anhebung des Schutzalters auf 21 Jahre.[43]

V.           Begriffliche Besonderheiten für geplante Gesetzesänderungen

Die Darstellung ausgewählter rechtlicher Besonderheiten bei der Gesundheitsversorgung von Trans*-Personen kam nicht umhin, einige Gesetzeslücken und einen Handlungsbedarf des Gesetzgebers zu erkennen. Ein letzter Blick ist deswegen zu richten auf eine inklusive und problemorientierte Begriffswahl bei der Schaffung oder Ergänzung von Gesetzen (und Verordnungen etc.) Der in der heutigen deutschen Rechtssprache noch omnipräsente Begriff der „Transsexualität“ entspringt der Medizingeschichte. Der Begriff wird von vielen Menschen als diskriminierend empfunden und daher abgelehnt; er erfasst ferner keine nicht-binären Personen. Andere Begriffe, wie etwa transgender, -geschlechtlich, -ident etc. differieren daher stark von Begriffen für nicht-binäre Personen wie enby, genderqueer, agender etc. Um jeder Person ihr Selbstdefinitionsrecht nicht zu nehmen, ist es aus der Perspektive der Rechtswissenschaft daher geboten, mit subsumtionsfähigen Begriffen zu arbeiten, die sich weniger auf die Selbstdefinition, sondern vielmehr dem Zustand zuwenden, den das jeweilige Gesetz zu regeln vermag. Dazu etwa wählt der Gesetzgeber in neueren Gesetzen die „selbstempfundene geschlechtliche Identität“ (vgl. nur § 1 Abs. 1 KonvBehSch). Abzulehnen ist der immer wieder auftretende Ansatz, an das Geschlecht als solches anzuknüpfen. Das rührt aus seiner Herkunft aus dem Verfassungsrecht; obwohl das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf Art. 3 Abs. 3 GG entschieden hat, dass der Begriff „Geschlecht“ alle Geschlechter erfasst, ist die Begründung doch sehr stark in Bezug auf das Verfassungsrecht ausgestaltet.[44] Insbesondere die Begründung, dass der Zweck des gesamten Absatzes sei, vulnerable Menschen zu schützen und dass die Verfassung flexibel auf neuartige Entwicklungen reagieren können müsse,[45] lässt sich auf einfachrechtliche Ausgestaltungen nicht übertragen. Dass es dann in einem zweiten Schritt das Geschlecht subjektiviert und es dann anhand eines sogenannten „dritten Geschlechts“ wieder zu objektivieren versucht, ist nicht ganz einfach zu fassen.[46] Hinzu kommt, dass die Kritik an dieser Auslegung nach wie vor laut ist. Neben dem Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen, das wohl das erste Gesetz mit dem Bezug zur geschlechtlichen Identität gewesen sein dürfte, verwendet auch das Eckpunktepapier für ein Selbstbestimmungsgesetz diesen Begriff, der damit zukünftig wegweisend für medizinrechtliche Regelungen für Trans*-Personen sein wird.

VI.        Resümee: Zeitalter des Umbruchs

Die Berücksichtigung von Trans*-Personen im deutschen Rechtssystem nimmt langsam an Fahrt auf. Das geht auch am Gesundheitsrecht nicht vollkommen vorbei – die Anpassung des Transfusionsgesetzes, die Kostenübernahme für die Kryokonservierung (§ 27a SGB V) und das Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen sind Vorboten weitreichender Gesetzesänderungen. Andere Bereiche, wie etwa die Kostenübernahme von Hormontherapien und anderen geschlechtsangleichenden Maßnahmen, aber auch das Elternschaftsrecht warten dringend auf eine explizite und Rechtsklarheit schaffende gesetzliche Regelung. Vor diesem Hintergrund verwundert es doch, dass das Eckpunktepapier zum Selbstbestimmungsgesetz dazu bislang schweigt. Rechtliche Regelungen sollten dabei stets die Begriffsproblematik in den Blick nehmen und nach Möglichkeit von einer „geschlechtlichen Identität“ sprechen, um eine möglichst umfassende und den Fortschritt der Differenzierung und Versubjektivierung überdauernde Regelung zu treffen. Das Recht allein kann die Diskriminierung von Trans*-Personen im Gesundheitswesen freilich nicht abbauen; eine Etablierung in die medizinische Ausbildung ist darüber hinaus zwingend erforderlich.

DOI: 10.13154/294-9794

ISSN: 2940-3170

[1] Queer.de, Texas könnte Trans-Gesundheitsversorgung ganz verbieten, https://www.queer.de/detail.php?article_id=44822.

[2] BVerfGE 60, 123; 88, 87; BVerfG NJW 1997, 1632; BVerfGE 115, 1; 116, 243; 121, 175; 128, 109.

[3] SPD/Grüne/FPD, Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grüne und FDP, 20. Legislaturperiode, S. 95.

[4] https://www.bmfsfj.de/resource/blob/199382/1e751a6b7f366eec396d146b3813eed2/20220630-selbstbestimmungsgesetz-eckpunkte-data.pdf.

[5] SPD/Grüne/FPD, Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grüne und FDP, 20. Legislaturperiode, S. 95.

[6] Der Begriff wird von vielen Menschen abgelehnt, weil er von einem binären Geschlechtermodell ausgeht und insbesondere nicht-binäre Personen unberücksichtigt lässt.

[7] BSG NJW 1988, 1550 (1551); BSGE 62, 83; 111, 289.

[8] BSGE 111, 289 (295).

[9] BSG NJW 2011, 1899 (1900).

[10] LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25. Januar 2012 – L 5 KR 375/10 – juris.

[11] Eingehend dazu Harney/Huster/Kohlenbach, Hormonbehandlungen bei geschlechtsinkongruenten oder geschlechtsdysphorischen Jugendlichen zu Lasten der GKV (Teil 2), MedR 2023, 127 (136). 

[12] LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25. Januar 2012 – L 5 KR 375/10 – juris, Rn. 46.

[13] Ausführlich Harney/Huster/Kohlenbach, Hormonbehandlungen bei geschlechtsinkongruenten oder geschlechtsdysphorischen Jugendlichen zu Lasten der GKV (Teil 2), MedR 2023, 127 (136 f.).

[14] European Agency for Fundamental Rights, Being Trans in the European Union. Comparative Analysis of EU LGBT Survey Data, 2014.

[15] European Agency for Fundamental Rights, Being Trans in the European Union. Comparative Analysis of EU LGBT Survey Data, 2014.

[16] Plötz/Zacharias, Abschlussbericht zur Entwicklung der Kampagne „Gemeinsam für Vielfalt in Niedersachsen“, 2015.

[17] LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. November 2011 – L 7 KA 107/08.

[18] KV-Blatt 7/97

[19] Statt Vieler BSG ArztR 2004, 79.

[20] Vgl. etwa auch Bayerisches LSG, Urteil vom 21. Januar 2004, L 12 KA 115/01 – juris.

[21] Halbach/Midding/Wesselmann/Würstlein/Ernstmann, DKG-aktuell, 2018, 7 (8).

[22] „Cisgender“ oder auch „cis“ verwendet man als Bezeichnung für Personen, deren Geschlechtsidentität übereinstimmt mit ihrem im Geburtenregister eingetragenen (meist biologischen) Geschlecht.

[23] Defreyne/Van Schuylenbergh/Motmans/Tilleman/T’Sjoen, Parental desire and fertility preservation in assigned female at birth transgender people living in Belgium, Fertility and Sterility 2020, 149.

[24] Hahn, in: BeckOK BGB, § 1591 BGB, Rn. 1.

[25] Eingehend zu den verschiedenen medizinischen Verfahren Wellenhofer, in: MüKo BGB, Rn. 13 ff.

[26] BGH NJW 2018, 471.

[27] Homologe Samenspenden umfassen Spenden innerhalb der Partner*innenschaft. Bei einer heterologen Samenspende stammen die Spermien von einer Spender*in, die nicht mit dem möglichen weiteren biologischen Elternteil des zukünftigen Kindes liiert, verpartnert oder verheiratet ist.

[28] BSG NZS 2011, 20.

[29] BGBl. I, S. 646.

[30] SG Berlin, Urteil vom 16. November 2022 – S 28 KR 63/22 –, juris.

[31] SG Berlin, Urteil vom 16. November 2022 – S 28 KR 63/22 –, juris, Rn. 12.

[32] SG Berlin, Urteil vom 16. November 2022 – S 28 KR 63/22 –, juris, Rn. 42.

[33] BGBl. I, S. 1082.

[34] BGBl. I, S. 1285.

[35] Der Begriff ist kritikwürdig, weil er einen behandlungsbedürftigen Zustand suggeriert, vgl. ausführlich Grafe, Zur Strafbarkeit von Konversionsmaßnahmen unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzes zum Schutz vor Konversionsbehandlungen, 2022, S. 121 f.

[36] Chiquer/Cottais/Kasanga/Ouattara/Pavard, Die „Konversionstherapien“ weltweit: Eine wenig bekannte Folterme-thode, https://www.growthinktank.org/de/die-konversionsthe rapien-weltweit-eine-wenig-bekannte-foltermethode/.

[37] Vgl. auch heute noch https://www.bkae.org/index.php?id=954.

[38] Eine detailliertere Aufzählung gibt Wolf, Konversionsbehandlungen, Stand 2019, https://www.vlsp.de/files/pdf/konversionsbehandlungen_wolf2019.pdf.

[39] Rousseau, Erfahrungen einer Betroffenen sogenannter „Konversionstherapien“, in: Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (Hrsg.): Abschlussbericht Wissenschaftliche Bestandsaufnahme der tatsächlichen und rechtlichen Aspekte von Handlungsoptionen unter Einbeziehung internationaler Erfahrungen zum geplanten „Verbot sogenannter Konversionstherapien“ in Deutschland zum Schutz homosexueller Männer, Frauen, Jugendlicher und junger Erwachsener vor Pathologisierung und Diskriminierung, 2019, S. 218 (219).

[40] Rousseau, in: Abschlussbericht, S. 218 (219).

[41] Zur Auslegung eingehend Grafe, Zur Strafbarkeit von Konversionsmaßnahmen unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzes zum Schutz vor Konversionsbehandlungen, 2022, S. 137.

[42] Grafe, Zur Strafbarkeit von Konversionsmaßnahmen unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzes zum Schutz vor Konversionsbehandlungen, 2022, S. 150 ff.

[43] Grafe, Zur Strafbarkeit von Konversionsmaßnahmen unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzes zum Schutz vor Konversionsbehandlungen, 2022, S. 158 f.

[44] BVerfGE 147, 1.

[45] Vgl. BT-Drucks. 19/17278, S. 2.

[46]  BVerfGE 147, 1 (21).

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