Das Krankenhausentgeltrecht in der Krise: Besteht ein verfassungsrechtliches Gebot zu Vermeidung eines „kalten Strukturwandels“?


  • Prof. Dr. Stefan Huster

    Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie und Direktor des ISGR.

  • Anna Büscher

    Die Autorin ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie an der Ruhr Universität Bochum sowie Rechtsanwältin bei Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf

Abstract: Die im Wirtschaftsverkehr typische Reaktion auf die rasante Kostensteigerungen ist Krankenhäusern durch das Krankenhausentgeltrecht verboten, denn eigenständige Entgeltanpassungen sind im DRG-System nicht möglich. Derzeit droht – jedenfalls auch durch die krankenhausentgeltrechtliche Regulierung bedingt – eine Krankenhausinsolvenzwelle. Vor diesem Hintergrund untersucht dieser Beitrag, ob staatliches Handeln zur Vermeidung eines solchen „kalten Strukturwandels“ verfassungsrechtlich geboten ist.

A.         Einleitung*

Die wirtschaftliche Lage deutscher Krankenhäuser war bereits mehrfach problematisch. Bis 2016 war ein Aufwärtstrend zu verzeichnen, der aber nicht anhielt: Ab 2017 kam es zu sinkenden Fallzahlen bei gleichzeitig steigenden Personalkosten; erste Insolvenzen wurden bekannt.[1] Krankenhäuser bzw. Krankenhausträger stehen auch heute wieder vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen, die durch die aktuellen Krisen noch verschärft wurden. Exemplarisch ist auf die nach wie vor relevanten Folgen der COVID-19-Pandemie, steigende Personalkosten und Belastungen, die insbesondere auf steigende Energiekosten zurückzuführen sind, hinzuweisen.

I.           COVID-19-Pandemie

Drastische pandemiebedingte Einnahmeausfälle entstanden insbesondere durch verschobene oder ausgesetzte planbare Operationen und Behandlungen. Im Jahr 2020 sank die Fallzahl um 13,5 Prozent und blieb im Jahr 2021 auf diesem niedrigen Niveau. Analysen haben ergeben, dass sich die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser im Jahr 2020 bei öffentlich-rechtlichen und besonders bei freigemeinnützigen Krankenhäusern trotzdem verbessert hat, was allerdings nicht auf strukturelle Reformen, sondern auf pandemiebedingte Ausgleichszahlungen zurückzuführen ist. Die Ertragslage privater Krankenhäuser verschlechterte sich dagegen im Jahr 2020 im Vergleich zum Jahr 2019. Im Jahr 2021 lag die Leistungsmenge der Krankenhäuser weiterhin unter dem Stand des Jahres 2019, sodass für die weitere wirtschaftliche Entwicklung abzuwarten bleibt, wie sich die Leistungsmenge zukünftig entwickelt.[2]

Es lässt sich daher festhalten, dass die pandemiebedingten Ausgleichszahlungen die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser für die Pandemiejahre 2020 und 2021 etwas besser aussehen lassen, als sie sein dürfte. Neben pandemiebedingten Einnahmeausfällen entstanden aufgrund der COVID-19-Pandemie Liefer- und Transportengpässe, sodass dadurch insbesondere im Jahr 2021 höhere Kosten entstanden.[3]

II.        Steigende Personalkosten

Der demografische Wandel trifft das Gesundheitswesen besonders hart. Das anstehende Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge aus den 1960er Jahren reduziert die verfügbare Arbeitskraft in den nächsten Jahrzehnten drastisch.[4] Es ist daher mit einem zunehmenden Arbeitskräftemangel und einem zunehmenden Wettbewerb um Arbeitskräfte zu rechnen. Die Corona-Pandemie rückte dabei die Entlohnung des Pflegepersonals in den Fokus, denn vielfach kam es zu Überlastungen der Beschäftigten. Dabei hat sich deutlich gezeigt, dass sich der Personalmangel weiter perpetuiert, wenn sich überlastetes Personal zum Berufswechsel entscheidet.[5]

Für Krankenhäuser ist es unerlässlich, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein und Löhne und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Steigende Lohnkosten und erhebliche Herausforderungen durch den demografischen Wandel zeichneten sich bereits vor der COVID-19-Pandemie ab. Aktuell Tarifverhandlungen erzielen – mit Blick auf die derzeitige Inflation – sehr hohe Tarifabschlüsse.[6]

Ab dem Jahr 2020 erfolgte (gemäß § 6a KHEntgG) eine Umstellung der Krankenhausvergütung mit dem Ziel der Verbesserung der Personalsituation in der Pflege. Mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) wurden die Pflegepersonalkosten für die unmittelbare Patientenversorgung aus den Fallpauschalen ausgegliedert; die Vergütung erfolgt nunmehr über ausgehandelte Pflegebudgets. Das Pflegebudget ist zweckgebunden und darf nur für die Begleichung der Pflegepersonalkosten eingesetzt werden (vgl. § 6a Abs. 1 S. 3, 4 KHEntgG).

Grundsätzlich ist das Pflegebudget auf eine Selbstkostendeckung angelegt, sodass die Ausgliederung der Pflegekosten als eine für die Krankenhäuser grundsätzlich wirtschaftlich vorteilhafte Maßnahme erscheint. Es gibt allerdings erhebliche Kritik u. a. am Ablauf des Aushandlungsprozesses, der einen späteren Ausgleich zwischenzeitlicher Kostensteigerungen (zum Beispiel durch Tariferhöhungen) vorsieht. Träger von Krankenhäusern sind dabei zur Vorfinanzierung gezwungen, wodurch Liquiditätsengpässe entstehen können.[7] Insofern werden Krankenhäuser durch hohe Tarifabschlüsse in Bezug auf alle Berufsgruppen – einschließlich der Kosten für Pflegepersonal – derzeit erheblich belastet.

III.      Kostensteigerungen

Die bereits im Jahr 2022 rasant gestiegene Inflationsrate trifft auch die Krankenhäuser bzw. deren Träger massiv. Eine Inflationsursache liegt insbesondere in den gestiegen Energiepreisen, die sich direkt durch höhere Kosten für Energielieferungen und indirekt durch höhere Sachkosten auswirken. Bereits ab Juni 2021 ist es zu signifikanten Preissteigerungen für Energielieferungen gekommen.[8] Intensive Preisanstiege sind auch für Verbrauchs- und Gebrauchsgüter zu verzeichnen.[9]

Krankenhäuser bzw. Krankenhausträger und die Deutsche Krankenhausgesellschaft weisen daher auf die sich stetig zuspitzende Finanzsituation sowie drohende Insolvenzen hin und warnen vor Versorgungslücken.

S. exemplarisch Pressemittelung der Deutschen Krankenhausgesellschaft vom 13.03.2023: „Gleichzeitig ist die wirtschaftliche Lage der Kliniken dramatisch und spitzt sich Monat für Monat zu. „Wegen des fehlenden Inflationsausgleichs sind bis Ende 2022 bereits 6,7 Milliarden Euro an Defiziten aufgelaufen, und aktuell kommen im Jahr 2023 jeden Monat 740 Millionen Euro dazu. Wenn nichts passiert, stehen wir Ende 2023 bei minus 15,6 Milliarden Euro. Die Krankenhäuser liegen im Schockraum der Notaufnahme, und viele Kliniken werden die politische Therapie des Abwartens nicht überleben“, so Gaß. Nur sehr wenige Krankenhäuser (3 Prozent) bewerten ihre aktuelle wirtschaftliche Situation noch als gut. Diese Zahlen des neu erhobenen Krankenhaus-Index des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) im Auftrag der DKG untermauern die Notlage der Kliniken. Die DKG fordert deshalb ein Vorschaltgesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser. Nur so kann verhindert werden, dass Kliniken vor der großen Krankenhausreform in Insolvenz gehen und dadurch Versorgungslücken entstehen. „Wenn Bundesminister Lauterbach seine in Aussicht gestellte Krankenhausreform als Rettung der von Insolvenz bedrohten Häuser darstellt, ohne aber unverzüglich lebensrettende Sofortmaßnahmen einzuleiten, dann wird er am Ende Krankenhäuser retten, die schon längst nicht mehr existieren“, prognostiziert Gaß.“[10]

B.         Verfassungsrechtliche Grenzen der Regulierung von Entgelten

Die krankenhausentgeltrechtliche Regulierung lässt keinen Spielraum für eine selbstständige kostengerechte Anpassung der Entgelte durch die Krankenhäuser. Hinzu tritt, dass die jährliche Kalkulationsmethodik der Fallpauschalen[11] um das sog. Datenlieferungsjahr versetzt erfolgt[12] und daher jedenfalls die Kostensteigerungen mit Einsetzen des Ukraine-Krieges noch nicht systematisch berücksichtigt werden konnten. Vorgesehene punktuelle Ausgleichsleistungen konnten teils aufgrund der geltenden Anspruchsvoraussetzungen nicht vollumfänglich ausgenutzt werden.[13] Eine prekäre wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser ist daher auch auf die krankenhausentgeltrechtlichen Vorschriften zurückzuführen, denn die Bindung an diese Vorschriften bewirkt letztlich ein Verbot der freien Preisgestaltung: Den Krankenhausträgern ist damit gerade die typische Reaktion des Wirtschaftsverkehrs auf Kostensteigerungen verboten.

Derartige Preisregulierungen stellen einen Eingriff in die Berufsfreiheit bzw. Unternehmerfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG dar, sodass die Berufsfreiheit bzw. Unternehmerfreiheit verletzt ist, wenn die konkrete Regulierung nicht (mehr) gerechtfertigt ist, d. h., wenn sie insbesondere den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht (mehr) entspricht (s. u. I.). Weiterer verfassungsrechtliche Anforderungen folgen außerdem aus der aus dem Sozialstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG abzuleitenden Verpflichtung der öffentlichen Gewalt zur Daseinsvorsorge, wonach die Versorgung das Existenzminimum nicht unterschreiten darf (s. u. II.).

I.           Verletzung der Berufsfreiheit

Eine Verletzung der Berufsfreiheit bzw. Unternehmerfreiheit[14] aus Art. 12 Abs. 1 GG liegt vor, wenn die krankenhausentgeltrechtlichen Beschränkungen durch die derzeitigen Kostensteigerungen unverhältnismäßig geworden sind. Zusammenfassend lässt sich insoweit auf der Grundlage der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung festhalten:

  • Der persönliche Schutzbereich der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG ist für kirchliche[15] und private bzw. privat beherrschte Krankenhausträger mit einem Hauptsitz in Deutschland (bzw. einem EU-Mitgliedsstaat) eröffnet.[16]
  • Die krankenhausentgeltrechtliche Regulierung verbietet kaufmännisch begründete Preisanpassungen für nahezu das gesamte wirtschaftliche Betätigungsfeld. Eine wirtschaftlich nicht tragbare Vergütungshöhe kommt in ihrer Wirkung einem Verbot des Berufes bzw. des Unternehmensgegenstandes nahe. Daher liegt eine Berufsausübungsregelung vor,[17] die aber in ihren Wirkungen einer Berufswahlregelung nahekommt.
  • Der Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG setzt daher einen überragend wichtigen Grund zur Rechtfertigung voraus. Die Gewährleistung der Finanzstabilität der gesetzlichen Krankenkassen und die Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems stellen einen solch gewichtige Rechtfertigungsgründe dar.[18]
  • Diese Rechtfertigung impliziert aber schon denklogisch ein Untermaßverbot, denn die krankenhausentgeltrechtliche Regulierung darf nicht von vorneherein die Funktionsfähigkeit der stationären Versorgung ausschließen.
  • Verfassungsrechtlich lässt sich keine konkrete angemessene Vergütungshöhe ableiten. Die Untergrenze ist allerdings erreicht, wenn die wirtschaftliche Existenz nicht mehr gewährleistet ist. Dies ist anzunehmen, wenn die Selbstkosten in der Gesamtschau unterschritten werden und das Erzielen von Gewinn von vorneherein ausschlossen ist.[19]
  • Es kommt aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht auf jedes einzelne Krankenhaus an, denn die Berufsfreiheit schützt die Teilnahme am Wettbewerb und nicht den wirtschaftlichen Erfolg.[20] Einzelne Krankenhausinsolvenzen sind daher noch kein Indikator für eine Verletzung der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG.

Vor diesem Hintergrund spricht viel dafür, dass die aktuelle krankenhausentgeltrechtliche Regulierung die verfassungsrechtlich geltende Untergrenze unterschreitet. Zur Beurteilung dessen kommt es aus verfassungsrechtlicher Sicht auf das wirtschaftliche Gesamtergebnis an. Insoweit ist festzuhalten, dass die derzeitigen Kostensteigerungen auf die bereits unzureichende, mit einem Substanzverzehr einhergehende Investitionskostenfinanzierung[21] trifft.

Für Vertragskrankenhäuser (gemäß § 108 Nr. 3 SGB V) gilt dies mangels Investitionskostenförderung erst recht. Die Möglichkeit zum Aufschlag von Investitionskosten bei nicht gesetzlich versicherten Patienten verändert diesen Befund nicht, denn die Umlage der Kosten stellt einen gewichtigen Wettbewerbsnachteil[22] dar.[23]

Aktuelle Prognosen gelangen zu dem Ergebnis, dass mindestens ein Drittel der Krankenhäuser insolvenzgefährdet ist. Daher ist zu erwarten, dass für weit mehr Krankenhäuser das Erzielen von Gewinn derzeit ausgeschlossen ist und die verfassungsrechtlich geltende Finanzierungsuntergrenze unterschritten ist.

II.        Anforderungen aus dem Sozialstaatsprinzip

Weiterer verfassungsrechtlicher Ansatzpunkt im Zusammenhang mit einer möglichen kalten Strukturbereinigung in der stationären Versorgung ist das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 GG, denn aus dem Sozialstaatsprinzip wird ein allgemeiner Sicherstellungsauftrag des Staates für die stationäre medizinische Versorgung abgeleitet. Insofern hat die öffentliche Hand dafür Sorge zu tragen, dass in quantitativ und qualitativ ausreichender Weise stationäre medizinische Versorgungseinrichtungen für alle Bürger zur Verfügung stehen. Für die Ausgestaltung steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu.[24]

Gleichzeitig ist die Sicherung der finanziellen Stabilität der Träger der Sozialversicherung ein äußerst wichtiger Gemeinwohlbelang,[25] sodass beide Belange miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Aus dem verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzip lässt sich kein konkretes Versorgungsniveau ableiten. Grundsätzlich gilt daher, dass dem Gesetzgeber die Konzeption des Versorgungssystems obliegt und sich aus dem verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzip nur äußere Grenzen ableiten lassen, denn das Sozialstaatsprinzip garantiert ausschließlich die Gewährleistung eines Existenzminimums.[26]

Aus verfassungsrechtlicher Sicht kann das Versorgungssystem daher grundsätzlich verändert und auch die Krankenhausversorgung auf ein unteres gesundheitliches Existenzminimum reduziert werden.[27] Ein „kalter Strukturwandel“, der dieses Existenzminimum ggf. regional unterschreitet, würde aber das Sozialstaatsprinzip verletzten.

Als Bestandteil des gesundheitlichen Existenzminimums gilt stets die Versorgung von akuten Verletzungen. Zum Beispiel belegt die Insolvenz des St. Vinzenz-Krankenhaus in Altena, dass Krankenhausinsolvenzen insoweit zu höchst kritischen Versorgungslücken führen können.

„Die Kreisleitstelle der Feuerwehr wurde am Montagabend vom St. Vinzenz Krankenhaus in Altena informiert, dass ab Dienstagmorgen 7.30 Uhr kein qualifizierter Mediziner als Notarzt zur Verfügung steht.“[28]

Außerdem wäre aber auch ein sehr unterschiedliches Versorgungsniveau – auch weit oberhalb des Existenzminimums – verfassungsrechtlich kritisch, den aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), dem Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist ein sog. derivatives Teilhaberecht abzuleiten, sodass ein Recht auf gleichheitsgerechten Zugang zur Versorgung besteht.[29]

C.         Fazit

Die wirtschaftliche Lage von Krankenhäusern lässt sich aus juristischer Perspektive nicht abschließend beurteilen. Festhalten lässt sich aber, dass aktuelle Prognosen zur Insolvenzgefährdung die hoch problematische wirtschaftliche Lage deutscher Krankenhäuser belegen. Die krankenhausentgeltrechtliche Systematik enthält kein Instrument zur Reaktion auf die aktuellen kurzfristigen und rasanten Preissteigerungen. Es ist daher zu erwarten, dass sich die Situation im Verlauf des Jahres 2023 noch verschärfen wird.

Diese Situation ist auf eine Kombination verschiedener Ursachen zurückzuführen: Eine präzise Kalkulation der Fallpauschalen ist durch pandemiebedingte Fallzahlschwankungen und die Ausgliederung der Pflegepersonalkosten derzeit problematisch. Diese Situation trifft zugleich auf die derzeitigen krisenbedingten Kostensteigerungen und auf einen bereits stattfindenden Substanzverzehr, der auf eine unzureichende Investitionskostenfinanzierung durch die Länder zurückzuführen ist.

Die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG schützt die Teilhabe am Wettbewerb und nicht den wirtschaftlichen Erfolg. Vor diesem Hintergrund ist auch von Krankenhausträgern eine vorausschauende wirtschaftliche Planung zu fordern, die eine gewisse wirtschaftliche Resilienz ermöglicht. Die aktuelle Kumulation internationaler Krisen war aber für niemanden vorherzusehen – was auch die Vielzahl der insolvenzgefährdeten Krankenhäuser belegt. Dabei ist noch einmal festzuhalten, dass Krankenhausträgern die im Wirtschaftsverkehr naheliegendste Lösung – die Vornahme von Preiserhöhungen – nicht offen steht.

Es spricht daher viel dafür, dass eine aus der Berufsfreiheit der Krankenhausträger abzuleitende Finanzierungsuntergrenze inzwischen unterschritten wird, indem die krankenhausentgeltrechtliche Regulierung die wirtschaftliche Existenz nicht mehr gewährleistet, die Selbstkosten in der Gesamtschau unterschritten werden und sich die Situation dahingehend zugespitzt hat, dass das Erzielen von Gewinn von vorneherein ausgeschlossen ist. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive kommt es lediglich auf dieses wirtschaftliche Endergebnis an, denn eine konkrete Finanzierungsgestaltung lässt sich nicht aus dem Grundgesetz ableiten. Es ist daher auch unerheblich, worauf eine Unterfinanzierung beruht oder ob eine Gewährung von Finanzhilfen beihilferechtlich problematisch ist.[30]

Spätestens das Abwarten einer „kalten Strukturbereinigung“ verletzt daher die Berufsfreiheit bzw. Unternehmerfreiheit von kirchlichen und privaten bzw. privat beherrschten Krankenhausträgern. Staatliches Handeln zur Vermeidung einer Krankenhausinsolvenzwelle ist daher verfassungsrechtlich dringend geboten. Weiteres Zuwarten und den „kalten Strukturwandel“ durch Notlösungen – wie zum Beispiel durch eine Verstaatlichung – nachträglich zu korrigieren, würde eine Grundrechtsverletzung von Krankenhausträgern noch weiter vertiefen, denn die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser ist nicht allein auf äußere Umstände zurückzuführen, sondern ergibt sich maßgeblich aus den krankenhausentgeltrechtlichen Beschränkungen.

Weiterhin folgt auch aus dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 GG ein verfassungsrechtliches Gebot, einen „kalten Strukturwandel“ zu verhindern. Das Sozialstaatsprinzip verlangt die Gewährleistung eines gleichheitsgerechten Zugangs der gesamten Bevölkerung zumindest zu einer das Existenzminimum wahrenden Krankenhausversorgung. Diese Mindestversorgung ist eine niedrig angesetzte Grenze. Dennoch kann ein Unterschreiten dieser Grenze kurzfristig eintreten, wenn sich zum Beispiel mehrere Insolvenzen in lokalem und zeitlichem Zusammenhang verwirklichen und es so zu einer Gefährdung dringender (Notfall-)Versorgung o. ä. kommt. Insofern gebietet auch das Sozialstaatsprinzip ein staatliches Tätigwerden zur Abwendung von Versorgungslücken.

DOI: 10.13154/294-9926

ISSN: 2940-3170

* Der Beitrag beruht auf einem ausführlichen Gutachten, das der Erstautor im Auftrag der DKG (Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V.) erstattet hat; s. Pressemitteilung der DKG vom 24.05.2023; abrufbar unter: https://www.dkgev.de/dkg/presse/details/staatliches-handeln-verfassungsrechtlich-dringend-geboten/.

[1] Braun, Insolvenz: Krankenhaus kann keinen Notarzt mehr stellen – Kreis findet schnelle Lösung, Meldung vom 21.12.2016; abrufbar unter: https://lokalstimme.de/blog/2016/12/21/insolvenz-krankenhaus-kann-keinen-notarzt-mehr-stellen-kreis-findet-schnelle-loesung/; ZEIT.Online, Paracelsus-Kliniken: Klinikkette meldet Insolvenz an, Meldung vom 21.12.2017; abrufbar unter: https://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2017-12/insolvenz-paracelsus-kliniken-osnabrueck; diese und alle weiteren Internetquellen wurden am 25.05.2023 zuletzt abgerufen.

[2] Vgl. Augurzky/Krolop/Hollenbach/Monsees/Pilny/Schmidt/Wuckel, Krankenhaus Rating 2022, S. 15 f.

[3] Siehe dazu ausführlich: Linz/Neumann/Abdalla/Gladis-Dörr, Auswirkungen der Corona-Pandemie: Lieferengpässe bremsen Industrie und treiben Preise, S. 71, 80, abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Methoden/WISTA-Wirtschaft-und-Statistik/ 2022/01 /lieferengpaesse-012022.pdf?__blob=publicationFile.

[4] Modellrechnungen gehen von einem Absinken des allgemeinen Arbeitsangebotes um etwa 30 % bis zum Jahr 2060 im Vergleich zum Jahr 2010 aus; vgl. bereits Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Herausforderungen des demografischen Wandels, Mai 2011, abrufbar unter: https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/Expertisen/2011/expertise_2011-demografischer-wandel.pdf.

[5] Jede dritte Pflegekraft erwägt einen Berufswechsel laut einer im Januar 2022 veröffentlichten Umfrage der Alice Salomon Hochschule Berlin, abrufbar unter: https://www.ash-berlin.eu/hochschule/presse-und-newsroom/presse/pressemitteilungen/pflege-studie-knapp-40-prozent-der-pflegenden-erwaegen-ihren-beruf-zu-verlassen/. Zur Studie: Gräske/Forbrig/Koppe/Urban/Neumann/Boguth, Gratifikationskrisen, Arbeitsfähigkeit und Wunsch nach beruflichen Veränderungen – eine Querschnittsstudie bei Pflegepersonen (Effort-Reward Imbalance, Ability to Work and the Desire for Career Exits: a Cross-sectional Study of Nurses); abrufbar unter: https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/ 10.1055/ a-1706-0629.

[6] So hat zum Beispiel ver.di die höchste Einigung seit Jahrzehnten mit den Arbeitgebern erzielt, s. die ver.di-Meldung; abrufbar unter: https://zusammen-geht-mehr.verdi.de/++co++77826c22-e147-11ed-bb25-001a4a16012a.

[7] Bibliomed Pflege, Pflegebudget, Vorfinanzierung der Pflegekosten verschärft Notlage der Kliniken, Meldung vom 25.02.2022; abrufbar unter: https://www.bibliomed-pflege.de/news/vorfinanzierung-der-pflegekosten-verschaerft-notlage-der-kliniken.

[8] Siehe zum Beispiel zur Preisentwicklung für Erdgas: Statista, Strom- und Energiepreise in Deutschland, S. 9 f., abrufbar unter: https://de.statista.com/statistik/studie/id/10091/dokument/strom-und-energiepreise-in-deutschland/.

[9] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 110 vom 20. März 2023, abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/03/PD23_110_61241.html.

[10] Pressemitteilung vom 13.03.2023; abrufbar unter: https://www.dkgev.de/dkg/presse/details/ohne-vorschaltgesetz-werden-viele-krankenhaeuser-die-grosse-krankenhausreform-nicht-mehr-erleben/.

[11] Gemäß § 17b Abs. 1 S. 1 KHG werden somatische Krankenhausleistungen pauschal vergütet. Für die Vielfalt der Krankheitsarten wurden diagnosebezogene Fallpauschalen (DRG) formuliert, die jährlich weiterentwickelt und angepasst werden; s. dazu Prütting in: Huster/Kaltenborn (Hrsg.), Krankenhausrecht, 2. Aufl. 2017, § 5, Rn. 74.

[12] Vgl. § 2 Abs. 2 i. V. m. § 3 Abs. 3 Vereinbarung über die Teilnahme an der Kalkulation über die Teilnahme an der Kalkulation für die Pflege und Weiterentwicklung des Entgeltsystems im Krankenhaus zwischen dem InEK und dem jeweiligen Kalkulationskrankenhaus; abrufbar unter: https://www.g-drg.de/kalkulation/kalkulationsvereinbarung.

[13] Insofern steht eine Anpassung der Energiehilfen in der Diskussion: Vgl. Art. 5 des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetzes, zur Änderung des Strompreisbremsegesetzes sowie zur Änderung weiterer energiewirschaftlicher und sozialrechtlicher Gesetze, abrufbar unter: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/G/gesetzentwurf-aenderung-des-erdgas-waerme-preisbremsengesetzes.pdf?__blob=publicationFile&v=6.

[14] S. zur Unternehmerfreiheit BVerfGE 50, 290, 363 f.

[15] Das BVerfG hat die Grundrechtsfähigkeit von durch Kirchen getragenen Krankenhäusern daher anerkannt; Vgl. BVerfGE 46, 73, 82 f.; 57, 220, 240 f.; 70, 138, 160 f.

[16] S. zur Krankenhausträgervielfalt ausführlich Rübsamen, Verfassungsrechtliche Aspekte des Fallpauschalensystems im Krankenhauswesen (DRG-Vergütungssystem), 2008, S. 103 ff.

[17] Vgl. zu Preisregulierungen BVerfGE 88, 145, 159; 114, 196, 244.

[18] Vgl. allgemein zur Gesundheit der Bevölkerung als Regelungsziel BVerfGE 9, 338, 346; 13, 97, 107; 25, 236, 247; 78, 179, 192.

[19] S. zu Grenzen der Preisregulierung BVerfGE 69, 373, 378 ff.; 47, 285, 321 f.; 48, 240, 244; 54, 251, 271 f.; 101, 331, 350 ff.

[20] BVerfGE 118, 1, 19; 105, 252, 265.

[21]Die Investitionsfördermittel der Länder beliefen sich im Jahr 2020 auf 3,27 Mrd.€, 3 % mehr als im Vorjahr. Bezogen auf die gesamten Krankenhauserlöse entspricht dies 3,4 %, 1991 waren es noch rund 10 % gewesen. Zum Erhalt der Unternehmenssubstanz sollten jährlich 7-8 % der Erlöse in Investitionen fließen. Wir schätzen den jährlichen förderfähigen Investitionsbedarf der Plankrankenhäuser zum Substanzerhalt auf mindestens 5,5 Mrd. €, zuzüglich Universitätskliniken insgesamt auf 6,3 Mrd. €. Krankenhäuser schließen diese investive Lücke nur zum Teil aus eigener Kraft, sodass es zu einem Substanzverzehr kommt, der in den Bilanzen deutlich sichtbar ist. Besonders stark war dieser Substanzverzehr bei den ostdeutschen Krankenhäusern, die sich – von einer sehr guten Unternehmenssubstanz kommend – dem niedrigen Niveau der westdeutschen Krankenhäuser immer weiter annähern. [Hervorh. d. d. Verf.]“ Augurzky/Krolop/Hollenbach/Monsees/Pilny/Schmidt/Wuckel, Krankenhaus Rating 2022, S. 15 f.

[22] Im Verhältnis zu nicht gesetzlich versicherten Patienten ist eine Einbeziehung von Investitionskosten in den Pflegesatz möglich, aber durch den Versichertenanteil von rund 90 % in der gesetzlichen Krankenversicherung schafft dies praktisch keinen wirtschaftlichen Spielraum, denn höhere Entgelte gehen mit einem Wettbewerbsnachteil einher; s. dazu Köbler in: BeckOK KHR, 3. Ed. 1.2.2023, KHG § 17 Rn. 93.

[23] Im Fall von Versorgungslücken, kann sich dieser Wettbewerbsnachteil aufheben oder jedenfalls reduzieren, wenn höhere Kosten in Kauf genommen werden (müssen), um überhaupt versorgt zu werden. In diesem Fall wäre aber die durch die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG abzuleitende Untergrenze ohnehin unterschritten.

[24] S. dazu Stollmann/Wollschläger, in: Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts, 5. Auflage 2019, § 79, Rn. 4.

[25] Vgl. vgl. BVerfGE 70, 1, 26, 30 mwN; 77, 84, 107.

[26] Siehe grundlegend zur verfassungsrechtlichen Herleitung BVerwGE 1, 159, 161; und aktuell BVerfGE 132, 134, 150 ff.

[27] Wann das Existenzminimum unterschritten wird, ist nur schwer zu beurteilen; s. zur Diskussion um das stets zu gewährleistende Mindestversorgungsniveau für Flüchtlinge: Eichenhofer, ZAR 2013, 169, 173 ff.

[28] Braun, Insolvenz: Krankenhaus kann keinen Notarzt mehr stellen – Kreis findet schnelle Lösung, Meldung vom 21.12.2016; abrufbar unter: https://lokalstimme.de/blog/2016/12/21/insolvenz-krankenhaus-kann-keinen-notarzt-mehr-stellen-kreis-findet-schnelle-loesung/; zuletzt abgerufen am 25.05.2023.

[29] Zur dogmatischen Herleitung von derivativen Teilhaberechten vgl. Voßkuhle/Wischmeyer, JuS 2015, 693, 694.

[30] Vgl. BT-Drs. 20/6241, S. 6.

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