Ein Gamechanger für das System der Krankenhausbehandlung? Zur neuen tagesstationären Behandlung im SGB V


  • Dr. Sören Deister

    Der Autor ist Akademischer Rat a.Z. am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Sozialrecht (Prof. Dagmar Felix)

A.         Hintergrund der Neuregelung

Die Regelungen zur neuen tagesstationären Behandlung sind zum 1.1.2023 in Kraft getreten.[1] Sie gehen zurück auf einen Vorschlag der von Gesundheitsminister Karl Lauterbach eingesetzten „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“.[2] Diese Kommission ist nicht unbedingt für die zurückhaltende Präsentation ihrer Stellungnahmen bekannt. So soll die dritte Stellungnahme zur Reform der Krankenhausfinanzierung nicht weniger als eine „Revolution“[3] im Krankenhaus einleiten. Die neue Tagesbehandlung wurde von Kommissionsmitglied Karagiannidis immerhin als ein kurzfristiger „Gamechanger“ zur Entlastung des Personals angekündigt.[4] Die Dringlichkeit einer zeitnahen Verbesserung der durch Unterbesetzung geprägten Arbeitsbedingungen im Krankenhaus, die von Seiten der Kommission auch mittels dieser Rhetorik unterstrichen wird, dürfte nicht zweifelhaft sein.[5]

Die Idee der Kommission zur kurzfristigen Milderung dieses Missstandes ist dabei denkbar einfach. In geeigneten Fällen sollen Patient:innen zu Hause und nicht im Krankenhaus übernachten, wodurch das Personal in der Nacht weniger stark beansprucht wird.[6] So soll nach der Gesetzesbegründung das Kunststück gelingen, einerseits Krankenhäuser und Krankenhauspersonal zu entlasten und dabei andererseits weder Leistungen einzuschränken, noch Ausgaben zu erhöhen.[7]  Der Vorschlag ist in durchaus beeindruckender Geschwindigkeit umgesetzt worden.

Im Folgenden wird zunächst überblicksartig das System der Krankenhausbehandlung im SGB V dargestellt (B.), anschließend die neue tagesstationäre Behandlung näher untersucht (C.) und abschließend der Versuch ihrer sinnvollen Integration in das bestehende System unternommen (D.). Dabei ist insbesondere die praxistaugliche Abgrenzung von ambulanter, teilstationärer und vollstationärer Krankenhausbehandlung von Interesse.

B.         Das System der Krankenhausbehandlung im SGB V

„Früher“ – in diesem Fall bis Ende 1992 – war vielleicht nicht alles besser, aber doch vieles einfacher. In § 39 SGB V existierten nur zwei Arten von Krankenhausbehandlung: vollstationäre und teilstationäre. Diese waren wiederum schlicht gegenüber der ambulanten Behandlung nachrangig – Stichwort: „ambulant vor stationär“. Die Abgrenzung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung konnte regelmäßig bereits anhand der Behandlungsleistung getroffen werden, da beispielsweise Operationen außerhalb eines Krankenhauses praktisch noch nicht vorgesehen waren.[8]

Gegenwärtig benennt § 39 SGB V sieben[9] verschiedene Formen von Krankenhausbehandlung: vollstationäre, stationsäquivalente, teilstationäre, vor- und nachstationäre, ambulante sowie die hier im Fokus stehende tagesstationäre Behandlung. Diese verschiedenen Formen der Krankenhausbehandlung bedürfen der rechtlichen Abgrenzung nicht nur untereinander, sondern auch von der klassischen ambulanten Versorgung durch Vertragsärzt:innen. Diese Abgrenzung ist kein wissenschaftliches Glasperlenspiel. Sie ist notwendig, um das gesetzliche Vorrang-Nachrang-Verhältnis umzusetzen, die Zuordnung zu leistungserbringungsrechtlichen Vorschriften (beispielsweise § 135 oder § 137c SGB V) zu ermöglichen und auch um die einschlägigen Vergütungsvorschriften festzulegen. 

Üblicherweise wird im Ausgangspunkt zwischen den Sektoren der ambulanten Versorgung im Sinne einer vertragsärztlichen Behandlung und der stationären Versorgung im Sinne einer Krankenhausbehandlung differenziert. Das ist im Versorgungssystem des SGB V nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig, wie bereits die in § 39 Abs. 1 S. 1 SGB V benannte ambulante Krankenhausbehandlung verdeutlicht.[10] In den vergangenen Jahren sind die zuvor starren Sektorengrenzen durch eine Vielzahl neuer Vorschriften an verschiedenen Stellen aufgeweicht worden, typischerweise im Sinne einer umfassenderen ambulanten Leistungserbringung durch Krankenhäuser.[11] Letztlich lassen sich mit Blick auf die hier vorrangig interessierende Einordnung der tagesstationären Behandlung vier Kategorien voneinander abgrenzen.

Erstens existieren Formen der Krankenhausbehandlung erster Stufe, die gegenüber allen anderen Behandlungsformen nachrangig sind. Dies ist insbesondere die vollstationäre Krankenhausbehandlung. Der vollstationären Krankenhausbehandlung rechtlich gleichgestellt sind nach § 39 Abs. 1 S. 2, S. 5 SGB V die nur im psychiatrischen Bereich existierende stationsäquivalente[12] und nunmehr auch die tagesstationäre Versorgung.

Diesen gegenüber gesetzlich nachrangig sind Krankenhausbehandlungen zweiter Stufe, die aber dennoch Krankenhausbehandlungen im Sinne von § 39 SGB V sind. Es handelt sich um gegenüber der vollstationären Behandlung auf unterschiedliche Art und Weise „abgeschwächte“ Formen, die primär aus Kostengründen vorrangig vor dieser zu erbringen sind. Hierunter fallen nach § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V die teilstationäre, vor- und nachstationäre[13] sowie die ambulante Krankenhausbehandlung. Ambulante Krankenhausbehandlung in diesem Sinne ist primär das „ambulante Operieren im Krankenhaus“ nach § 115b SGB V.[14] Das zwischen den Krankenhausbehandlungen zweiter Stufe und zwischen diesen und der vertragsärztlichen Behandlung existierende Rangverhältnis ist strittig.[15] Das Bundessozialgericht (BSG) geht von einem Nachrang der teilstationären Behandlung gegenüber den beiden anderen Behandlungsformen und gegenüber der vertragsärztlichen Behandlung aus.[16] Zwischen ambulanter Krankenhausbehandlung und ambulanter vertragsärztlicher Behandlung wird kein Vorrang-Nachrang-Verhältnis angenommen, sie sind gleichrangig.[17]

Von den Krankenhausbehandlungen erster und zweiter Stufe abzugrenzen sind in einer dritten Kategorie Behandlungsleistungen durch Krankenhäuser, die keine Krankenhausbehandlung im Sinne von § 39 SGB V sind. Hierunter fallen sämtliche Formen der Behandlung aufgrund einer Ermächtigung zur vertragsärztlichen Versorgung gemäß §§ 116, 116a, 117, 118a, 119 SGB V, beispielsweise durch Hochschulambulanzen. Es handelt sich um vertragsärztliche Versorgung – letztlich „echte ambulante Behandlung“ – die schlicht aus unterschiedlichen Gründen für Krankenhäuser bzw. Krankenhausärzte eröffnet wird. Keine Krankenhausbehandlung, sondern vertragsärztliche Versorgung ist schließlich die Behandlung in Medizinischen Versorgungszentren, die in der Trägerschaft eines Krankenhauses stehen („Krankenhaus-MVZ“). 

Schließlich existieren neuartige sektorenüberschreitende Versorgungsformen, innerhalb derer Krankenhäuser nach eigenen, nur für diese Versorgungformen geltenden Regelungen tätig werden, zu nennen sind § 116b SGB V (ambulante spezialfachärztliche Versorgung) und § 140a SGB V (besondere bzw. integrierte Versorgung).[18]

C.         Voraussetzungen und Inhalt der tagesstationären Behandlung

Zunächst das Wesentliche: Bei der tagesstationären Behandlung handelt es sich nach der gesetzlichen Konzeption um eine vollwertige stationäre Krankenhausbehandlung. Sie kann, so der Gesetzeswortlaut, „anstelle“[19] einer vollstationären Behandlung erbracht werden und ist dieser rechtlich nach § 39 Abs. 1 Satz 2 und Satz 4 SGB V gleichgestellt. Dementsprechend ist sie nachrangig nicht nur gegenüber einer ambulanten vertragsärztlichen Behandlung, sondern auch gegenüber allen anderen Formen der Krankenhausbehandlung mit Ausnahme der vollstationären. Im Rahmen der tagesstationären Behandlung dürfen also nicht solche Leistungen, die eigentlich ambulant erbracht werden könnten, als Tagesbehandlungen im Krankenhaus durchgeführt werden. Vielmehr können diejenigen Behandlungen, die zuvor vollstationär, d.h. mit nächtlicher Unterbringung, durchgeführt worden sind, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ohne Übernachtung im Krankenhaus erfolgen. Das ist die zentrale gesetzliche Zuordnung.

I.           Allgemeine Voraussetzungen der Krankenhausbehandlung

Für eine tagesstationäre Behandlung müssen zunächst die allgemeinen Voraussetzungen einer Krankenhausbehandlung vorliegen. Es muss also insbesondere eine behandlungsbedürftige Krankheit gegeben sein, und die Behandlung muss in einem nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus erfolgen, das die in § 107 Abs. 1 SGB V benannten Eigenschaften eines Krankenhauses erfüllt und dessen Versorgungsauftrag auch die konkrete Behandlung erfasst.[20] Der Versorgungsauftrag bestimmt sich (bei Plankrankenhäusern) nach den Festlegungen des Landeskrankenhausplanes i.V.m. den Bescheiden zu seiner Durchführung.[21] Ferner muss die Behandlung nach § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V in dem Sinne erforderlich sein, dass das Behandlungsziel nicht durch jeweils nachrangige (insbesondere ambulante) Behandlungsformen erreicht werden kann (sogenannte Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit). Maßgeblich für die Beurteilung der Erforderlichkeit ist der „im Behandlungszeitpunkt verfügbare Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen Krankenhausarztes“.[22] Wie bei einer vollstationären Behandlung dürfte ferner eine Aufnahme in das Krankenhaus erforderlich, die nach außen hin regelmäßig durch die Einweisung auf eine bestimmte Station, die Zuweisung eines Bettes oder das Erstellen entsprechender Aufnahmeunterlagen dokumentiert wird.[23] Das Vorliegen einer vertragsärztlichen Verordnung („Krankenhauseinweisung“) ist hingegen eigentlich keine formale Voraussetzung der Krankenhausbehandlung – und auch nicht der Vergütung. Der Verordnung kommt nach der Rechtsprechung des BSG eine bloße Ordnungsfunktion zu.[24] Allerdings schließt § 115e Abs. 1 S. 3 SGB V „eintägige Behandlungen ohne Einweisung“ von der tagesstationären Behandlung aus.[25]

II.        Spezifische Voraussetzungen der tagesstationären Behandlung

§ 115e SGB V benennt insgesamt fünf spezifische Voraussetzungen der tagesstationären Behandlung (dazu 1. – 5.). Zusätzlich zu diesen fünf Voraussetzungen werden einige Leistungen explizit gesetzlich von der tagesstationären Behandlung ausgeschlossen (dazu 6.).

1.          Indikation einer stationären somatischen Behandlung

Zunächst muss nach § 115e Abs. 1 S. 1 SGB V die Indikation für eine stationäre somatische Behandlung vorliegen. Dies dürfte in rechtlicher Hinsicht keine Probleme aufwerfen, die nicht ohnehin im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit von Krankenhausbehandlung zu klären wären. Die besondere Bedeutung liegt hier letztlich nur in der Ausgrenzung aller psychiatrischen Indikationen vom Anwendungsbereich der tagesstationären Behandlung.

2.          Mindestbehandlungsdauer

Durch die Vorgabe einer klaren zeitlichen Mindestbehandlungsdauer von 6 Stunden je Tag (§ 115e Abs. 1 S. 2 SGB V) wollte der Gesetzgeber offenbar handhabbare Kriterien für die Praxis formulieren. Was mit dem Zusatz „währenddessen überwiegend ärztliche oder pflegerische Behandlung erbracht wird“, gemeint ist, ist sprachlich allerdings nicht ganz klar. Daraus zu folgern, in zeitlicher Hinsicht müssten innerhalb der 6 Stunden mindestens 180 Minuten mit tatsächlicher Behandlungstätigkeit liegen, wäre angesichts der üblichen Wartezeiten bei Krankenhausbehandlungen jedenfalls wenig sinnvoll. Schlimmstenfalls sind hier sinnfreie Auseinandersetzungen über am Bett verbrachte Minuten zu befürchten, die den gesetzeszweckwidrigen Anreiz setzen, künstlich zusätzliche Behandlungszeit zu generieren.[26] Letztlich geht es  – wie stets bei der rechtlichen Kontrolle der Erforderlichkeit einer Krankenhausbehandlung – auch hier um eine Prognoseentscheidung der behandelnden Ärzt:innen auf Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstandes.[27] In rechtlicher Hinsicht erfolgt eine ex-ante und keine ex-post Kontrolle.[28] Nach dem im Entscheidungszeitpunkt verfügbaren Wissensstand muss die Einbindung in die spezifische Infrastruktur des Krankenhauses bei einem Krankheitsfall der konkret vorliegenden Art für voraussichtlich mindestens sechs Stunden täglich erforderlich sein, was Wartezeiten, in denen keine konkrete Behandlung erfolgt, die Infrastruktur aber dennoch „greifbar“ sein muss, impliziert. Die Anforderungen an eine Dokumentation der täglichen Behandlungsdauer sind nach § 115e Abs. 4 S. 1 SGB V bis zum 28.1.2023 durch die Spitzenverbände auf Bundesebene zu vereinbaren.

Eine Vorgabe hinsichtlich der Anzahl an Tagen, an denen eine Tagesbehandlung hintereinander erfolgen kann, enthält das Gesetz im Übrigen nicht. Nicht explizit geregelt ist auch, inwiefern zwischen einzelnen Tagen der Behandlung auch ganze Tage – naheliegend sind insbesondere Wochenenden –  ohne Behandlungsleistung liegen dürfen.[29] Dementsprechend besteht gesetzlich weder eine starre Höchst- noch eine starre Mindestdauer der jeweils mindestens sechsstündigen Behandlungstage, was auch durch die Geltung der üblichen Grenzverweildauern im Rahmen der Vergütung bestätigt wird.[30]

3.          Medizinisch geeigneter Fall

Die dritte Voraussetzung eines „medizinisch geeigneten Falls“ (§ 115e Abs. 1 S. 1 SGB V) erfordert eine Abgrenzung der vollstationären Fälle, die mit Übernachtung zu erbringen sind, von denen, bei denen eine Übernachtung auch zu Hause erfolgen kann. Dies ist in der Tat eine neue Abgrenzungsfrage. Dabei stehen medizinische Gesichtspunkte, insbesondere Komplexität und Risiko der Behandlung, im Vordergrund.[31] Untechnisch gesagt: Es muss sich um Fälle handeln, bei denen nachts nicht mit dem Auftreten von Problemen zu rechnen ist. Bemerkenswert ist, dass dabei nach den Gesetzmaterialien auch das soziale Umfeld der behandelten Person, konkret die häusliche Versorgungssituation in der Nacht, zu berücksichtigen ist.[32] Ist eine erforderliche häusliche Versorgung über Nacht nicht sichergestellt, soll dies die tagesstationäre Behandlung ausschließen.[33] Das hat zwar keinen Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden, ergibt sich aber auch aus der notwendigen Risikoabwägung: Ist keine Person zu Hause, die notwendige Unterstützung leisten kann, steigt das Risiko. Zu beachten ist, dass die Frage der Übernachtungsnotwendigkeit einer Rechnungskontrolle durch den Medizinischen Dienst entzogen ist.[34] Dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber den Krankenhäusern bei der Bestimmung eines geeigneten Falls einen gewissen Entscheidungsspielraum belassen wollte, was auch die Begründung nahelegt.[35]

4.          Einwilligung

Eine weitere Besonderheit stellt die vierte in § 115e Abs. 1 S. 1 SGB V genannte Voraussetzung, die Einwilligung der Patient:innen, dar. Danach entscheiden nicht mehr nur objektive medizinische Kriterien über die einschlägige Form der Krankenhausbehandlung, sondern auch der subjektive Patientenwille. Bereits bislang durfte selbstredend zivil- und strafrechtlich keine Behandlung erbracht werden, in die nicht eingewilligt worden ist. Die Bestimmung des sozialversicherungsrechtlich notwendigen Umfangs einer Krankenhausbehandlung richtete sich aber seit einer Entscheidung des Großen Senates des BSG im Jahr 2007 allein nach den (objektiven) medizinischen Erfordernissen.[36] Eine objektiv ausreichende ambulante vertragsärztliche Behandlung ist auch dann vorrangig, wenn eine Krankennhausbehandlung subjektiv gewünscht wird. Die rein objektive-medizinische Beurteilung wird durch die Neuregelung zumindest ein Stück weit verlassen, allerdings nur im Hinblick auf die Differenzierung zwischen tagesstationärer und vollstationärer Behandlung.

5.          Sicherstellungspflicht

Schließlich enthält § 115e Abs. 1 S. 5 SGB V als fünfte Voraussetzung eine Art Qualitätssicherungsvorgabe. Der Krankenhausträger hat sicherzustellen, dass notwendige Krankenhausleistungen „bei Bedarf jederzeit zur Verfügung stehen“. Auch das dürfte nicht unproblematisch sein. Denn die tagesstationäre Behandlung ist gerade dadurch definiert, die besonderen Mittel des Krankenhauses nicht mehr „jederzeit“, sondern nur tagsüber, einzusetzen. Wie das Krankenhaus einerseits aufgrund der tagesstationären Behandlung nächtliche Kapazitäten abbauen, andererseits aber sicherstellen soll, „dass bei Komplikationen im Rahmen der tagesstationären Behandlung die erforderlichen Ärztinnen und Ärzte, nichtärztlichen Fachkräfte und Bettenkapazitäten auch nachts zur Verfügung stehen“[37] bleibt ein Geheimnis des Gesetzgebers. Jedenfalls dürfte es in der gegenwärtigen Versorgungspraxis mit ihrer erheblichen personellen Unterbesetzung schwer realisierbar sein.

6.          Konkretisierungen zum Nachrang ambulanter Leistungen  

Die tagesstationäre Behandlung ist als „vollwertige“ Krankenhausbehandlung gemäß § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V ohnehin nachrangig gegenüber allen Formen ambulanter Leistungserbringung. Das Verhältnis zu ambulanten Leistungen wird in § 115e Abs. 1 S. 3 SGB V sinnvollerweise noch einmal konkretisiert. Damit soll die Umetikettierung eigentlich ambulant erbringbarer Leistungen als „tagesstationär“ durch die Krankenhäuser verhindert werden.[38] Nach der Vorschrift können zunächst Leistungen nach den §§ 115b (Ambulantes Operieren im Krankenhaus), 115f (spezielle sektorengleiche Vergütung) und 121 (belegärztliche Leistungen) SGB V nicht als tagesstationäre Leistungen erbracht werden. Ferner können sämtliche Leistungen, die auf Grundlage einer Ermächtigung des Krankenhauses ambulant erbracht werden können (§§ 116, 116a, 117, 118a, 119) nicht als tagesstationäre Behandlung erbracht werden. Gleiches gilt auch für nach § 116b SGB V (ambulante spezialfachärztliche Versorgung) ambulant erbringbare Leistungen. Letztlich ändert sich damit wohl nichts am bisherigen System des Nachrangs stationärer Behandlung. Was ambulant möglich ist, muss ambulant erbracht werden. Die oben bereits dargelegten Kriterien der Erforderlichkeit stationärer Krankenhausbehandlung bleiben hier unverändert für die Abwägung im Einzelfall gültig.

Um eine Umwandlung von Notaufnahmebehandlungen in tagesstationäre Behandlungen zu verhindern,[39] werden in § 115e Abs. 1 S. 3 SGB V ferner explizit „eintägige Behandlungen ohne Einweisung“ und „Behandlungen in der Notaufnahme eines Krankenhauses“ ausgeschlossen. Die Einweisung, also die vertragsärztliche Verordnung der Krankenhausbehandlung, ist wie bereits dargelegt eigentlich keine Voraussetzung (voll-) stationärer Behandlung. Sie wird nun im Rahmen der tagesstationären Behandlung zur relevanten Voraussetzung, nach dem klaren Gesetzeswortlaut allerdings nur bei einer bloß eintägigen Behandlung. Bei mehrtägigen tagesstationären Behandlungen bleibt die Einweisung rechtlich nicht zwingend erforderlich. Die tagesstationäre Behandlung ist ferner nach § 115e Abs. 1 S. 4 SGB V bei Versicherten, die einen Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V haben, ausgeschlossen.

Auch wenn sicherlich einzelfallbezogene Abgrenzungsprobleme auftreten werden, ist das Nachrangverhältnis von tagesstationärer zu ambulanter Behandlung damit im Grundsatz eindeutig und systematisch – auch in Anbetracht der kurzen Gesetzgebungszeit – durchaus gelungen geregelt worden. Manche Krankenhäuser mögen sich dennoch durch die Neuregelung dazu veranlasst sehen, bislang beispielsweise in ihrem „Krankenhaus-MVZ“ erbrachte ambulante Behandlungen mit einer mehr als sechsstündigen Dauer zukünftig im benachbarten Gebäudeteil als „tagesstationäre Behandlung“ zu erbringen und abzurechnen. Dies ist aber klar gesetzeswidrig und unterliegt auch einer Kontrolle durch den Medizinischen Dienst.  

III.      Abrechnung und Rechnungskontrolle

Hinsichtlich der Vergütung enthält § 115e Abs. 3 SGB V selbst explizite Vorgaben. Die Abrechnung erfolgt mit den Entgelten, die für eine vollstationäre Behandlung des jeweiligen Falls vorgesehen sind, also den Fallpauschalen und ggf. Zusatzentgelten nach dem KHEntgG. Für jede nicht im Krankenhaus verbrachte Nacht ist ein pauschaler Abzug von 0,04 Bewertungsrelationen vorzunehmen. Dieser Abzug soll die dem Krankenhaus nicht zur Last fallenden Übernachtungskosten abbilden. Insgesamt darf der Abzug einen Anteil von 30 Prozent der Entgelte für den Aufenthalt nicht überschreiten. Eine Differenzierung des Abzugs nach den verschiedenen DRGs erfolgt nicht.[40] Es gilt ferner dieselbe Grenzverweildauer wie bei vollstationärer Krankenhausbehandlung.[41] Nach Einschätzung der Regierungskommission ist der Abzug niedrig genug, um einen wirtschaftlichen Anreiz für tagesstationäre Behandlungen zu setzen.[42]

Wichtig ist die in § 115e Abs. 3 S. 3 SGB V gesetzlich vorgesehene Beschränkung der Rechnungsprüfung durch den Medizinischen Dienst: „Bei Erbringung einer tagesstationären Behandlung ist eine Prüfung der Notwendigkeit von Übernachtungen von Patientinnen und Patienten im Krankenhaus“ durch den MD nach § 275c SGB V nicht zulässig. Das klingt zunächst so, als dürfe der MD lediglich nicht prüfen, ob bei einer tagesstationären Behandlung vielleicht doch eine Übernachtung notwendig gewesen wäre. Gemeint ist – und der Wortlaut gibt dieses Verständnis her – aber ebenso ein Verbot, zu prüfen, ob statt einer vollstationären Behandlung die günstigere tagesstationäre Behandlung möglich gewesen wäre. Dies ergibt sich unzweideutig aus den Gesetzesmaterialien[43] und im Übrigen auch aus dem Regelungszweck. Der MD darf also in keiner Hinsicht überprüfen, ob eine Übernachtung notwendig gewesen ist. Seine Möglichkeiten, die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung insgesamt (primäre Fehlbelegung) sowie deren Dauer (sekundäre Fehlbelegung) zu überprüfen, bleiben unberührt.[44] Insbesondere kann also geprüft werden, ob statt einer tagesstationären Behandlung ambulante Behandlung ausreichend gewesen wäre. Sowohl hinsichtlich der Vergütung als auch hinsichtlich der MD-Kontrolle können Ergänzungen, aber auch Abweichungen vom Gesetz durch die Selbstverwaltungspartner auf Bundesebene[45] vereinbart bzw. durch Schiedsstellenbeschluss[46] festgesetzt werden.[47]

IV.      Freie Fahrt für freie Bürger? Die Fahrtkostenfrage

Nach § 115e Abs. 2 SGB V werden Fahrtkosten, die nach Aufnahme in das Krankenhaus für die An- oder Abreise anfallen, nicht von den Krankenkassen übernommen. Die Patient:innen müssen ihre An- und Abreise, die sich ggf. mehrfach wiederholen kann, selbst finanzieren. Damit ist, wie bei jeder Verpflichtung zur Selbstzahlung im Rahmen einer Krankenbehandlung, unweigerlich eine soziale Selektion verbunden: Den Komfort einer Tagesbehandlung muss man sich leisten können. Neben den Fahrtkosten bzw. der Leistungsfähigkeit des familiären Umfelds wird dabei natürlich auch die Nähe des Wohnortes zum Krankenhaus eine Rolle spielen. Dementsprechend wird die tagesstationäre Behandlung wohl primär für Krankenhäuser in Ballungsräumen realisierbar sein, da weite Anfahrtswege einer Einwilligung tendenziell entgegenstehen. Ausnahmen vom Ausschluss der Fahrtkostentragung gelten sinnvollerweise für Rettungsfahrten zum Krankenhaus und Krankenfahrten, die auch zu ambulanten Behandlungen übernahmefähig wären. Letztlich verlagert die tagesstationäre Behandlung – auch durch die notwendige Einbeziehung des familiären Umfeldes in die nächtliche Versorgung – insgesamt einen Teil der zuvor durch die Solidargemeinschaft getragenen Kosten in die private Sphäre.

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