Mehr Eigenverantwortung in der GKV: Beteiligung Nichtgeimpfter an den Kosten ihrer Covid-19-Behandlung

  • Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf, LL.M.

    Die Autorin ist Inhaberin des Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verfassungsrecht an der Universität Potsdam.

  • Nicole Friedlein

    Nicole Friedlein ist Wissenschaftliche Hilfskraft mit Hochschulabschluss am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verfassungsrecht (Prof.’in Brosius-Gersdorf) an der Universität Potsdam.

A.           Debatte über Kostenbeteiligung Nichtgeimpfter zur Reduzierung der Ausgaben der GKV

Das System der GKV sieht im Interesse einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft keine risikoäquivalenten Gefahrgemeinschaften einzelner Versichertengruppen vor, sondern der Gesetzgeber hat im Interesse eines solidarischen Ausgleichs sämtliche Versicherten zu einer Risikogemeinschaft zusammengefasst. Es „findet ein umfassender sozialer Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken, Jungen und Alten, Versicherten mit niedrigem Einkommen und solchen mit höherem Einkommen“ statt.[1] In der GKV ist damit das Solidarprinzip deutlich stärker und das Versicherungsprinzip deutlich schwächer ausgeprägt als in der gesetzlichen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Unfallversicherung und in der Arbeitslosenversicherung.

Die solidarische Finanzierung der GKV wird aber zunehmend herausgefordert, weil ihre finanzielle Situation seit langem angespannt ist. Die Gesamtausgaben der GKV haben sich im Zeitraum von 1994 bis 2020 mehr als verdoppelt.[2] Für das Jahr 2023 wird mit dem Wegfall der pandemiebedingten Sonderzuzahlungen zum Gesundheitsfonds ein Defizit von 17 Milliarden Euro in der GKV prognostiziert, weil das Beitragsvolumen und der steuerfinanzierte Bundeszuschuss in bisheriger Höhe (14,5 Mrd. Euro) nicht ausreichen, um die stetig steigenden Kosten zu decken.[3] Das belastet sowohl die Beitragszahler*innen als auch die Gemeinschaft der Steuerzahler*innen. Am 20.10.2022 hat der Bundestag einen Gesetzesentwurf[4] der Bundesregierung zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz verabschiedet, der neben einem höheren Bundeszuschuss auch höhere Beiträge der Versicherten vorsieht.[5]

Zum erheblichen Kostenanstieg beigetragen hat die Corona-Pandemie, die das Bewusstsein für die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen individueller Gesundheitsentscheidungen geschärft hat. Hintergrund ist, dass trotz zugelassener Impfstoffe 22,1 % der deutschen Bevölkerung nicht gegen Covid-19 geimpft sind.[6] Die Impfung bietet einen sehr guten Schutz vor einer Hospitalisierung, intensivpflichtiger Behandlung und dem Tod.[7] Der Schutz vor einer Infektion ohne oder mit milder Symptomatik ist unter den Bedingungen der Omikron-Variante im Vergleich zur Deltavariante zwar geringer und von kürzerer Dauer; er kann jedoch durch eine Auffrischungsimpfung verbessert werden.[8] Nichtgeimpfte haben somit insgesamt ein wesentlich höheres Risiko für einen behandlungsbedürftigen Krankheitsverlauf als Geimpfte. Zudem weisen erste Studienergebnisse darauf hin, dass die Impfung das Risiko für Long-Covid-Symptome reduzieren kann.[9] Die stationäre Behandlung einer akuten Coronainfektion kostet im Fall einer künstlichen Beatmung durchschnittlich 32.000 bis 33.000 Euro.[10] Der hohe Bedarf an Long-Covid-Therapien wird die GKV vor weitere wirtschaftliche Belastungen stellen.[11]

Vor diesem Hintergrundwird darüber debattiert, ob Versicherte, die sich gegen eine Covid-19-Impfung entschieden haben, ohne dass eine Kontraindikation vorlag, bei einer Erkrankung an den Kosten ihrer Krankenbehandlung beteiligt werden sollen.

B.            Kostenbeteiligung gem. § 52 I SGB V­­­

Obwohl das Solidarprinzip der GKV ausdrücklich durch den Grundsatz der Eigenverantwortung flankiert wird (vgl. § 1 S. 2, 3 SGB V), sind die im Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von krankheitsursächlichem Vorverhalten der Versicherten mit § 52 und § 52a SGB V überschaubar. In der Praxis machen die Krankenkassen von den Möglichkeiten einer Kostenbeteiligung nach § 52 SGB V eher selten Gebrauch.[12]

Gem. § 52 I SGB V kann die Krankenkasse Versicherte an den Kosten der Leistungen in angemessener Höhe beteiligen und das Krankengeld ganz oder teilweise für die Dauer der Krankheit versagen und zurückfordern, wenn sich Versicherte eine Krankheit vorsätzlich oder bei einem von ihnen begangenen Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen zugezogen haben. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, wenn Versicherte, die sich gegen eine Covid-19-Impfung entschieden haben, an Corona erkranken, ist nicht geklärt.

I.              Vorsatz des Versicherten

Für den nach § 52 I Alt. 1 SGB V erforderlichen Vorsatz genügt es, wenn der Versicherte die Nichtimpfung und den Krankheitseintritt billigend in Kauf nimmt.[13] Es genügt nicht, wenn der Versicherte grob fahrlässig auf das Ausbleiben der Krankheit vertraut.[14]

Aufgrund der breiten Aufklärungs- und Informationskampagnen lässt sich von einem allgemeinen Bewusstsein hinsichtlich der Schutzwirkung der Impfung und der Gefahren einer Coronainfektion ausgehen. Der Versicherte legt zudem mit der Nichtimpfung ein besonders gefährliches Verhalten an den Tag, sodass sich argumentieren lässt, dass er auf das Ausbleiben einer behandlungsbedürftigen Coronainfektion nicht vertrauen darf. Allerdings mag man wegen des durch Subjektivität geprägten Wesens des Vorsatzes dagegenhalten, dass der Schluss auf den Vorsatz anhand der objektiven Gefährlichkeit des Verhaltens problematisch ist.[15] Obgleich Nichtgeimpfte die Impfung bewusst ablehnen, wird sich ihr Vorsatz selten auch auf den Krankheitseintritt beziehen, weil sie subjektiv der Überzeugung sind, dass die Impfung die Krankheit bzw. die Krankheitsschwere nicht abgewendet hätte.[16] In diesem Fall ergeben sich auch praktische Probleme wegen der Beweislastverteilung zulasten der Krankenversicherungen.[17]

II.           Kausalzusammenhang zwischen Nichtimpfung und Covid-19-Krankheit

Der tatbestandlich erforderliche Kausalzusammenhang („die sich eine Krankheit vorsätzlich zugezogen haben“) liegt bei einer Erkrankung an Covid-19 vor, wenn der Versicherte durch die Nichtimpfung den wesentlichen Umstand, d.h. eine gesteigerte Gefahr, für den Eintritt der Krankheit gesetzt hat.[18] Die Hinzuziehung der Krankheit i.S.d. § 52 I Alt. 1 SGB V kann auch durch pflichtwidriges Unterlassen erfolgen.[19] In Deutschland gilt zwar keine allgemeine Impfpflicht, sodass keine Rechtspflicht zum Handeln, d.h. zur Impfung, besteht.[20] Für die Gleichstellung von krankheitsstiftendem Unterlassen mit aktivem Tun genügt es jedoch, dass das Unterlassen als Obliegenheitsverletzung bzw. Verschulden gegen sich selbst zu qualifizieren ist.[21] Dies ist der Fall, wenn das Unterlassen als konkret zweckgerichtetes Verhalten den Versicherungsfall ursächlich herbeiführt.[22]

Bei einer Nichtimpfung gegen Covid-19 spricht für die Kausalität, dass eine Impfung insbesondere die Wahr­scheinlichkeit eines schweren Krankheitsverlaufs erheblich reduziert.[23] Allerdings werden Infektionen mit der Omikron-Variante nur noch bedingt verhindert und auch die Verlaufsschwere einer Coronaerkrankung kann im Einzelfall von diversen Faktoren abhängen.[24]

III.        Ermessen der Krankenkassen

In der Rechtsfolge räumt § 52 I Alt. 1 SGB V den Krankenkassen ein Entschließungs- und Auswahlermessen ein.[25] Bei der Ermessensausübung sind alle relevanten Umstände des Einzelfalls, insbesondere die wirtschaftlichen Auswirkungen des gesundheitsschädlichen Verhaltens auf die Soli­dar­gemeinschaft, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versicherten, etwaige Handlungsmotive sowie der Grad des Verschuldens zu berücksichtigen.[26]

Die Behandlung schwerer Covid-19-Verläufe ist in der Regel sehr kostenintensiv,[27] was für eine Kostenbeteiligung in nicht unerheblichem Umfang spricht. Schwierig zu beurteilen ist, ob und inwieweit die Gründe für eine negative Impfentscheidung einer wertenden Betrachtung zugänglich sind. Ist eine gesteigerte Sorge vor Impfnebenwirkungen aufgrund individueller persönlicher Erfahrungen ein weniger solidaritätswidriges Handlungsmotiv als die Motivation, dem gesellschaftlichen Druck nicht nachgeben zu wollen?[28] In jedem Fall bleibt die Schwierigkeit, die Motive für die Impfentscheidung zu ergründen und inhaltlich zu bewerten.

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Die Redaktion

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24 Antworten zu „Mehr Eigenverantwortung in der GKV: Beteiligung Nichtgeimpfter an den Kosten ihrer Covid-19-Behandlung“

  1. Wenn wir anfangen, Menschen wegen “Fehlverhalten” (in diesem Fall kritische Einstellung zur Covid-19 Impfung und Ausübung eines im Grundgesetz verankerten Rechts) an den Kosten ihrer Behandlung zu beteiligen, dann müsste man dieses Konzept natürlich auch auf anderes “Fehlverhalten” ausweiten… Rauchen, Alkohol trinken, selbstverschuldete Unfälle aller Art (und ich denke hier nicht nur an Risikosportarten), Übergewicht und vieles andere mehr, denn alles belastet die Versicherungsgemeinschaft über Gebühr.
    Und wer definiert dann eigentlich gesundheitliches “Fehlverhalten” und überwacht das “korrekte” Verhalten? Mir kommen da Assoziation zu George Orwells 1984 hoch… oder zur Pandemiebekämpfung.

  2. Christian Gläser

    Erschreckend wie hier die Begriffe Solidarität und Eigenverantwortung verwendet werden.
    Den Artikel sollte man für die Nachwelt speichern.

  3. Warum nicht, dann muss im Umkehrschluss allerdings das gleiche Prinzip angewendet werden, wenn Geimpfte nach dem Piks an Myokarditis/Perikarditis/Schlaganfällen/Thrombosen/Embolien/PostVac ….betroffen sind. Konnte man ja auch vorher wissen, dass es da ein Risiko gibt.

    1. OK. Dass passiert genau so, die Krankenkassen zahlen nichts.

  4. Wenn man die aktuelle Datenlage betrachtet, ist es eine Frechheit über eine Kostenbeteiligung ungimpfter überhaupt zu diskutieren. Wo haben die Autoren in den letzten Monaten gelebt? Aktuell sieht es eher so aus, dass die GKV die entstehenden Kosten aufgrund der Impfnebenwirkungen nicht in den Griff bekommt!

  5. “Aufgrund der breiten Aufklärungs- und Informationskampagnen lässt sich von einem allgemeinen Bewusstsein hinsichtlich der Schutzwirkung der Impfung und der Gefahren einer Coronainfektion ausgehen. Der Versicherte legt zudem mit der Nichtimpfung ein besonders gefährliches Verhalten an den Tag, sodass sich argumentieren lässt, dass er auf das Ausbleiben einer behandlungsbedürftigen Coronainfektion nicht vertrauen darf.”
    Solche Diskussionen können doch nur unter Ausschluß sämtlicher aktueller, wissenschaftlicher Erkenntnisse und klinischer Erfahrungen geführt werden.
    Mit anderen Worten: aufgrund des derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstandes (die mRNA Injektionen schützen weder den Geimpften noch andere. Auch die Behauptung, ein möglicher Verlauf der Erkrankung würde abgemildert oder verkürzt, ist nicht haltbar, bzw. aufgrund der aktuellen Studienlage widerlegt.) sind die Behauptungen, welche zur Begründung der Idee einer Kostenbeteiligung “Ungeimpfter” dienen schlichtweg Unfug.
    Des weiteren sollten sich die Kassen, welche ja angeblich die Idee einer Solidargemeinschaft vertreten, einmal folgende Frage stellen:
    Was würde wohl geschehen, wenn sich die “Ungeimpften” aufgrund einer solchen offensichtlichen Diskriminierung entschließen, die stetig anwachsenden Folgekosten aus dem mRNA Immunisierungsversuch nicht mehr mitzutragen und sich aus dieser Art von Zwangssolidarität abmelden?
    Es ist überall zu beobachten, dass die Geimpften einen deutlich höheren Krankenstand zu verzeichnen haben, als die “Ungeimpften”.
    Meine persönliche Erfahrung dazu:
    Mein gesamtes Kollegium ist komplett geimpft/ geboostert.
    Ohne Ausnahme alle, leiden seitdem etwa im Monatstakt (ca 4-6 Wochen) an Atemwegserkrankungen, alle hatten seitdem mindestens 2x Corona mit mittelschweren Verläufen nicht unter zwei Wochen, teilweise länger. Auch eine 3- oder 4malige Erkrankung kam vor.
    Als einziger “Ungeimpfter” bin ich seit 3 Jahren komplett gesund und der Einzige, der täglich zur Arbeit erscheint.