A. Debatte über Kostenbeteiligung Nichtgeimpfter zur Reduzierung der Ausgaben der GKV
Das System der GKV sieht im Interesse einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft keine risikoäquivalenten Gefahrgemeinschaften einzelner Versichertengruppen vor, sondern der Gesetzgeber hat im Interesse eines solidarischen Ausgleichs sämtliche Versicherten zu einer Risikogemeinschaft zusammengefasst. Es „findet ein umfassender sozialer Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken, Jungen und Alten, Versicherten mit niedrigem Einkommen und solchen mit höherem Einkommen“ statt.[1] In der GKV ist damit das Solidarprinzip deutlich stärker und das Versicherungsprinzip deutlich schwächer ausgeprägt als in der gesetzlichen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Unfallversicherung und in der Arbeitslosenversicherung.
Die solidarische Finanzierung der GKV wird aber zunehmend herausgefordert, weil ihre finanzielle Situation seit langem angespannt ist. Die Gesamtausgaben der GKV haben sich im Zeitraum von 1994 bis 2020 mehr als verdoppelt.[2] Für das Jahr 2023 wird mit dem Wegfall der pandemiebedingten Sonderzuzahlungen zum Gesundheitsfonds ein Defizit von 17 Milliarden Euro in der GKV prognostiziert, weil das Beitragsvolumen und der steuerfinanzierte Bundeszuschuss in bisheriger Höhe (14,5 Mrd. Euro) nicht ausreichen, um die stetig steigenden Kosten zu decken.[3] Das belastet sowohl die Beitragszahler*innen als auch die Gemeinschaft der Steuerzahler*innen. Am 20.10.2022 hat der Bundestag einen Gesetzesentwurf[4] der Bundesregierung zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz verabschiedet, der neben einem höheren Bundeszuschuss auch höhere Beiträge der Versicherten vorsieht.[5]
Zum erheblichen Kostenanstieg beigetragen hat die Corona-Pandemie, die das Bewusstsein für die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen individueller Gesundheitsentscheidungen geschärft hat. Hintergrund ist, dass trotz zugelassener Impfstoffe 22,1 % der deutschen Bevölkerung nicht gegen Covid-19 geimpft sind.[6] Die Impfung bietet einen sehr guten Schutz vor einer Hospitalisierung, intensivpflichtiger Behandlung und dem Tod.[7] Der Schutz vor einer Infektion ohne oder mit milder Symptomatik ist unter den Bedingungen der Omikron-Variante im Vergleich zur Deltavariante zwar geringer und von kürzerer Dauer; er kann jedoch durch eine Auffrischungsimpfung verbessert werden.[8] Nichtgeimpfte haben somit insgesamt ein wesentlich höheres Risiko für einen behandlungsbedürftigen Krankheitsverlauf als Geimpfte. Zudem weisen erste Studienergebnisse darauf hin, dass die Impfung das Risiko für Long-Covid-Symptome reduzieren kann.[9] Die stationäre Behandlung einer akuten Coronainfektion kostet im Fall einer künstlichen Beatmung durchschnittlich 32.000 bis 33.000 Euro.[10] Der hohe Bedarf an Long-Covid-Therapien wird die GKV vor weitere wirtschaftliche Belastungen stellen.[11]
Vor diesem Hintergrundwird darüber debattiert, ob Versicherte, die sich gegen eine Covid-19-Impfung entschieden haben, ohne dass eine Kontraindikation vorlag, bei einer Erkrankung an den Kosten ihrer Krankenbehandlung beteiligt werden sollen.
B. Kostenbeteiligung gem. § 52 I SGB V
Obwohl das Solidarprinzip der GKV ausdrücklich durch den Grundsatz der Eigenverantwortung flankiert wird (vgl. § 1 S. 2, 3 SGB V), sind die im Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von krankheitsursächlichem Vorverhalten der Versicherten mit § 52 und § 52a SGB V überschaubar. In der Praxis machen die Krankenkassen von den Möglichkeiten einer Kostenbeteiligung nach § 52 SGB V eher selten Gebrauch.[12]
Gem. § 52 I SGB V kann die Krankenkasse Versicherte an den Kosten der Leistungen in angemessener Höhe beteiligen und das Krankengeld ganz oder teilweise für die Dauer der Krankheit versagen und zurückfordern, wenn sich Versicherte eine Krankheit vorsätzlich oder bei einem von ihnen begangenen Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen zugezogen haben. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, wenn Versicherte, die sich gegen eine Covid-19-Impfung entschieden haben, an Corona erkranken, ist nicht geklärt.
I. Vorsatz des Versicherten
Für den nach § 52 I Alt. 1 SGB V erforderlichen Vorsatz genügt es, wenn der Versicherte die Nichtimpfung und den Krankheitseintritt billigend in Kauf nimmt.[13] Es genügt nicht, wenn der Versicherte grob fahrlässig auf das Ausbleiben der Krankheit vertraut.[14]
Aufgrund der breiten Aufklärungs- und Informationskampagnen lässt sich von einem allgemeinen Bewusstsein hinsichtlich der Schutzwirkung der Impfung und der Gefahren einer Coronainfektion ausgehen. Der Versicherte legt zudem mit der Nichtimpfung ein besonders gefährliches Verhalten an den Tag, sodass sich argumentieren lässt, dass er auf das Ausbleiben einer behandlungsbedürftigen Coronainfektion nicht vertrauen darf. Allerdings mag man wegen des durch Subjektivität geprägten Wesens des Vorsatzes dagegenhalten, dass der Schluss auf den Vorsatz anhand der objektiven Gefährlichkeit des Verhaltens problematisch ist.[15] Obgleich Nichtgeimpfte die Impfung bewusst ablehnen, wird sich ihr Vorsatz selten auch auf den Krankheitseintritt beziehen, weil sie subjektiv der Überzeugung sind, dass die Impfung die Krankheit bzw. die Krankheitsschwere nicht abgewendet hätte.[16] In diesem Fall ergeben sich auch praktische Probleme wegen der Beweislastverteilung zulasten der Krankenversicherungen.[17]
II. Kausalzusammenhang zwischen Nichtimpfung und Covid-19-Krankheit
Der tatbestandlich erforderliche Kausalzusammenhang („die sich eine Krankheit vorsätzlich zugezogen haben“) liegt bei einer Erkrankung an Covid-19 vor, wenn der Versicherte durch die Nichtimpfung den wesentlichen Umstand, d.h. eine gesteigerte Gefahr, für den Eintritt der Krankheit gesetzt hat.[18] Die Hinzuziehung der Krankheit i.S.d. § 52 I Alt. 1 SGB V kann auch durch pflichtwidriges Unterlassen erfolgen.[19] In Deutschland gilt zwar keine allgemeine Impfpflicht, sodass keine Rechtspflicht zum Handeln, d.h. zur Impfung, besteht.[20] Für die Gleichstellung von krankheitsstiftendem Unterlassen mit aktivem Tun genügt es jedoch, dass das Unterlassen als Obliegenheitsverletzung bzw. Verschulden gegen sich selbst zu qualifizieren ist.[21] Dies ist der Fall, wenn das Unterlassen als konkret zweckgerichtetes Verhalten den Versicherungsfall ursächlich herbeiführt.[22]
Bei einer Nichtimpfung gegen Covid-19 spricht für die Kausalität, dass eine Impfung insbesondere die Wahrscheinlichkeit eines schweren Krankheitsverlaufs erheblich reduziert.[23] Allerdings werden Infektionen mit der Omikron-Variante nur noch bedingt verhindert und auch die Verlaufsschwere einer Coronaerkrankung kann im Einzelfall von diversen Faktoren abhängen.[24]
III. Ermessen der Krankenkassen
In der Rechtsfolge räumt § 52 I Alt. 1 SGB V den Krankenkassen ein Entschließungs- und Auswahlermessen ein.[25] Bei der Ermessensausübung sind alle relevanten Umstände des Einzelfalls, insbesondere die wirtschaftlichen Auswirkungen des gesundheitsschädlichen Verhaltens auf die Solidargemeinschaft, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versicherten, etwaige Handlungsmotive sowie der Grad des Verschuldens zu berücksichtigen.[26]
Die Behandlung schwerer Covid-19-Verläufe ist in der Regel sehr kostenintensiv,[27] was für eine Kostenbeteiligung in nicht unerheblichem Umfang spricht. Schwierig zu beurteilen ist, ob und inwieweit die Gründe für eine negative Impfentscheidung einer wertenden Betrachtung zugänglich sind. Ist eine gesteigerte Sorge vor Impfnebenwirkungen aufgrund individueller persönlicher Erfahrungen ein weniger solidaritätswidriges Handlungsmotiv als die Motivation, dem gesellschaftlichen Druck nicht nachgeben zu wollen?[28] In jedem Fall bleibt die Schwierigkeit, die Motive für die Impfentscheidung zu ergründen und inhaltlich zu bewerten.
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Die Redaktion
24 Antworten zu „Mehr Eigenverantwortung in der GKV: Beteiligung Nichtgeimpfter an den Kosten ihrer Covid-19-Behandlung“
Sollen AIDS Kranke dann auch mehr zahlen?Was ist mit den vielen Skiunfälllen?
Und warum sterben nach der Impfung viel mehr Menschen als vor der I. obwohl sich das Virus doch jetzt viel weniger tödlich sein soll als am Anfang.
Sehr geehrte Damen!
Um es gleich vorwegzunehmen: Ich bin mehrfach geimpft und mittlerweile extrem verärgert. Sämtliche Covid-Impfsstoffe haben nicht im Ansatz das gehalten, was medial und auch vom Gesundheitsministerium versprochen wurde.
Es ist schon erstaunlich, dass Sie – nach all den derzeit wissenschaftlich belegten Daten und Fakten weltweit – überhaupt so einen menschenverachtenswertenVorschlag zur Diskussion stellen.
Ich habe mir hier alle Kommentare sorgfältig mit großem Interesse durchgelesen und kann diesen zu 100 Prozent zustimmen. “Wo leben Sie eigentlich?”, war z.B. ein Kommentar. Das frage ich mich heute auch.
Sie sind doch studierte Menschen, wie Sie über sich selbst schreiben. Wurde Ihnen dieses Spaltungselemt im Studium beigebracht? Das wäre – mit Verlaub gesagt – furchtbar.
Solidargemeinschaft heißt Solidargemeinschaft, weil sich die Gemeinschaft solidarisch verhält. Als Beispiel: Schauen Sie sich die vielen Flüchtlinge an, die zu uns nach Deutschland kommen. Sie werden aus dem “Topf” der Solidargemeinschaft finanziert.
Und wieso sollten dann Ungeimpfte aus diesem “Topf” ausgeschlossen werden? Ehrlich gesagt, da fehlt mir jegliches Verständnis.
Wenn Sie dieser Meinung sind, müssen Sie auch Adipöse, Alkoholiker, Raucher, Drogensüchtige etc. ebenfalls zur Kasse bitten. Und vor allem: die Lebensmittelindustrie sollte ihren solidarischen Beitrag leisten, die mit teilweise ungesunden Lebensmitteln die Menschen krank macht. Aktuelles Beispiel kennen Sie bestimmt.
Last but not least: Umgeimpfte Menschen sind definitiv gesünder als Geimpfte. Ich sehe es definitiv in meinem Umfeld.
Ich empfehle Ihnen, Ihren Vorschlag (der übrigens erhebliches Spaltungspotential besitzt) noch einmal zu überdenken. Das kann man von studierten Menschen wirklich erwarten, oder nicht mehr? Insbesondere von denen, die sogar einen Lehrstuhl innehaben.
Ich bereue es mittlerweile sehr, mich impfen haben zu lassen. Sie sollten wissen, dass ich den Krankenkassen nun mehr Kosten verursache, als die Ungeimpften. Vielleicht klingelt es da ja jetzt bei Ihnen. Ich wünsche es mir.
Mit freundlichen Grüßen,
K. Bau
Wieso schafft man nicht gleich gesonderte Krankenkassen.
Wenn ich bei bestimmte Behandlungen selbst zahlen soll, weil ich eine freiwillige Impfung, die mir KEINEN Mehrwert bietet, ablehne, möchte ich auch nicht für Impfschäden, Impfdosen und was noch alles finanziert wurde, aufkommen.
Ein Bonus: man hätte endlich mal eine ordentliche Kontrollgruppe!
Der ganze Artikel hat schon ein Gedankenfehler (unabhängig von der wirklichen Schutzwirkung der „Impfung“)
Da es keine Impfpflicht gibt können Ungeimpfte für die folgen auch nicht haftbar gemacht werden.
Eib Beispiel :
Die Schutzwirkung eines Fahrradhelm ist unumstritten dennoch wird der Fahrradfahrer nicht für den Mehraufwand bei einen Unfall haftbar gemacht ganz allein schon aus dem Grund weil es für Fahrradhelme keine Pflicht gibt!
Weshalb werden ungeimpfte Genesene in Ihrer Arbeit nicht thematisiert!?
Man weiß schon lange, dass sie einen sehr guten Schutz vor Hospitalisierung haben.