Gutes Geld und Schlechtes Geld – Gefährden MVZ in der Hand von Finanzinvestoren die vertragsärztliche Versorgung?


  • Prof. Dr. Ulrich Wenner

    Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht a.D., Honorarprofessor für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Sozialrecht an der Goethe Universität Frankfurt a.M.

I.              Medizinische Versorgungszentren (MVZ)

Immer mehr inländische und ausländische Finanzinvestoren, die nicht mit eigenen Versorgungseinrichtungen an der Gesundheitsversorgung in Deutschland beteiligt sind, übernehmen schon bestehende MVZ oder gründen selbst solche, indem sie ein zugelassenes Krankenhaus kaufen, das seinerseits beliebig viele MVZ im gesamten Bundesgebiet gründen darf. Gesetzliche Grundlage ist § 95 Abs. 1a SGB V. Danach können MVZ u.a. von Vertragsärzten, von zugelassenen Krankenhäusern und von Kommunen gegründet werden. MVZ sind ärztlich geleitete Einrichtungen, in denen Ärzte und Zahnärzte, die über dieselben beruflichen Qualifikationen wie Vertragsärzte verfügen, vorwiegend als angestellte Ärzte tätig sind [1].

Vertragsärzte können MVZ in der Rechtsform einer Personengesellschaft betreiben; dann besteht kein großer Unterschied zu einer von Vertragsärzten betriebenen Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) im Sinne des § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV. Die BAG ist nach der Rechtsprechung des BSG selbst Träger von Rechten und Pflichten und gegenüber den sie tragenden Ärzten deutlich verselbständigt [2]. Da auch Vertragsärzte, also nicht nur angestellte Ärzte, in einem MVZ tätig sein können, werden die Rechtsform der ärztlichen BAG und eines nur von Vertragsärzten getragenen MBZ zunehmend austauschbar.

Zugelassene Krankenhäuser im Sinne des § 108 SGB V können MVZ grundsätzlich nur in der Rechtsform einer GmbH betreiben, die dann als „Betreibergesellschaft“ bezeichnet wird. In der Regel vollzieht sich das so, dass der Rechtsträger des Krankenhauses, also etwa die Rhön-Klinikum AG, eine GmbH gründet und deren einziger Gesellschafter wird; diese GmbH erhält die Zulassung für ein MVZ, dessen Betreiber die GmbH ist, die mit den angestellten Ärzten und den Mitarbeiterinnen Anstellungsverträge schließt. An dieser Stelle setzten Finanzinvestoren wie Nordic-Capital an: Sie übernehmen den Rechtsträger eines einzelnen zugelassenen Krankenhauses und können dann beliebig viele MVZ gründen und betreiben, selbstverständlich nur im Rahmen der vertragsärztlichen Bedarfsplanung.

Das ist für die Fonds interessant, weil die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ein hohes Maß an Sicherheit bietet: Vergütet werden die vertragsärztlichen Leistungen durch die Kassenärztlichen Vereinigungen, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts immer zahlungsfähig sind. Eine Rendite auf das eingesetzte Kapital ist ebenso sicher, wenn die Praxis des MVZ genügend Zulauf von Patienten hat und wirtschaftlich geführt wird. Der Anspruch auf angemessene Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen (§ 72 Abs. 2 SGB V) gilt auch für MVZ. In den Zeiten historisch niedriger Zinsen zwischen 2009 und 2021 haben die Fonds eine sichere Rendite von 3% erwarten können; das hat Kapital aus ganz Europa und darüber hinaus angelockt.

II.           Risiken für die ambulante Versorgung

Diese Entwicklung löst aus mehreren Gründen Besorgnis aus.

  • Die finanziellen Angebote zur Übernahme von Praxis bzw. Vertragsarztsitz, die investorenbetriebene MVZ solchen Ärzten machen können, die ihre vertragsärztliche Tätigkeit aufgeben wollen, sind so attraktiv, dass in bestimmten Fachrichtungen (Radiologie, Augenheilkunde) immer weniger frei werdende Vertragsarztsitze „frei“ nachbesetzt werden können. Damit werden auch an sich niederlassungswillige Ärzte in die Anstellung gedrängt. Seit der Teilnahme von MVZ an der vertragsärztlichen Versorgung ab dem Jahr 2004 und der damit verbundenen Öffnung der beruflichen Teilnahme von angestellten Ärztinnen und Ärzten besteht eine gute Wahlmöglichkeit: Man muss nicht unternehmerisch in eigener Praxis tätig werden, wenn man als Ärztin lieber in einer hausärztlichen Praxis als in einem Krankenhaus arbeiten will. Diese relativ freie Wahl zwischen Selbständigkeit und Anstellung läuft leer, wenn etwa für Augenärzte und Radiologen nur noch die Option einer Anstellung in einem MVZ bleibt, weil die Übernahme einer Einzelpraxis oder eines Anteils an einer BAG ausscheidet. Das kann darauf beruhen, dass eine solche Option generell nicht mehr besteht, weil alle frei werdenden Sitze schon vorab im Rahmen einer langfristig geplanten Nachfolgeregelung in ein MVZ eingebracht worden sind, oder darauf, dass sie wirtschaftlich ausscheidet, weil der Preis gezahlt werden müsste, den das MVZ dem Arzt für die Übernahme bieten kann, der aus der Versorgung ausscheiden will.
  • Zudem wird die strikte Renditeorientierung von solchen MVZ als Gefahr gesehen: Nicht die medizinisch sinnvollen, sondern die wirtschaftlich interessanten Leistungen werden dort mutmaßlich präferiert. Dafür spricht auf den ersten Blick, dass die Privat-Equity-Gesellschaften an hausärztlichen, kinderärztlichen oder psychotherapeutischen Praxen nicht interessiert sind. Gefragt sind Praxen mit hohem Anteil an technischen Leistungen (Radiologie, Labormedizin, Nephrologie vor allem mit Dialyse) und solche, die wirtschaftlich von standardisierten ambulanten Operationen „leben“ (Augenärzte und Kataraktoperationen).
  • Schließlich gehen von dem typischen „Buy-and-Build“- Geschäftsmodell der Private-Equity-Fonds Risiken für die Versorgung aus: Wenn sich für einen geplanten Verkauf einer MVZ-Kette kurzfristig kein Interessent findet, droht der Wegfall etwa der radiologischen Versorgung in einer Region, wenn die von diesem Investor getragenen MVZ den Markt dominiert haben.   

III.        Grund und Grenzen regulatorischer Eingriffe

Ob es verfassungsrechtlich zulässig ist, aus diesen Gründen den Erwerb und den Betrieb von MVZ durch Finanzinvestoren zu verbieten, ist noch nicht geklärt. Einigkeit besteht zunächst wohl zu zwei Fragen.

  • Nur der Gesetzgeber selbst wäre dazu befugt; alle Vorstellungen, die Zulassungsgremien oder die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen könnten in diese Richtung wirken, haben keine rechtliche Grundlage.
  • Weiterhin könnte ein Ausschluss von Finanzinvestoren von der Trägerschaft von MVZ nur für die Zukunft realisiert werden. Für einen Eingriff in bestehende Strukturen, der auch zu einer Entwertung von bereits getätigten Investitionen führen würde, bestehen verfassungsrechtlich besonders hohe Hürden. Der Erwerb eines zugelassenen Krankenhauses durch einen Finanzinvestor und die über die Trägerschaft dieses Hauses vorgenommene Gründung von MVZ stand immer mit den gesetzlichen Vorgaben in Einklang. Über die Risiken dieses Modells ist im Zuge der Beratungen des TSVG 2019 breit diskutiert worden, und die Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass sie zumindest im vertragsärztlichen Bereich keinen Anlass für steuernde Eingriffe sieht [3]. Diese Beurteilung kann sich ändern; sie schließt aber eine Beseitigung von geschaffenen MVZ-Strukturen mit der Begründung aus, das Modell sei schon immer „anrüchig“ gewesen, etwa vergleichbar den „Cum – Ex“- Geschäftsmodellen der Finanzbranche in den 2010-Jahren.

IV.        Verfassungsrechtliche Maßstäbe

1.             Der Rahmen für Regulierung

Verfassungsrechtlicher Maßstab für einen künftigen Ausschluss von Finanzinvestoren an der – auch mittelbaren – Trägerschaft von MVZ ist das Grundrecht der Berufsfreiheit in Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht gestattet dem Gesetzgeber regulatorische Eingriffe sowohl in die Freiheit der Wahl eines Berufs wie in dessen Ausübung. Je intensiver die Freiheit, eine bestimmte Tätigkeit ausüben zu dürfen, eingeschränkt wird, desto dringender und naheliegender müssen die Gefahren für die Gemeinwohlgüter sein, die durch das Verbot geschützt werden sollen. Der grundrechtliche Schutz der Berufsfreiheit kommt dabei nicht nur „natürlichen Personen“ wie Ärztinnen und Ärzten zu, sondern auch „juristischen Personen“ wie GmbH und AG.

Welche Gemeinwohlziele im Rahmen der ambulanten Versorgung vorrangig sind, entscheidet der Gesetzgeber; dieser war nicht verpflichtet, die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung 2004 für MVZ in der Hand von GmbH und mittelbar von Krankenhäusern zu öffnen. Wenn er diese Entscheidung aber rückgängig machen und damit ein bisher offenes Geschäftsfeld generell schließen will, benötigt er Gründe von einigem Gewicht, wie das BVerfG gerne formuliert. Die Ausrichtung der ärztlichen Behandlung vorrangig am wirtschaftlichen Interesse des MVZ-Trägers statt am medizinischen Bedarf des Versicherten wäre sicher ein solcher wichtiger Grund. Das Problem ist nur: Alle Versuche, einen solchen Zusammenhang so zu belegen, dass die Richter des BVerfG davon überzeugt sind, haben nach meiner Einschätzung bisher keinen Erfolg gehabt. Das im November 2020 dem BMG erstattete Gutachten von Andreas Ladurner (Jurist)/Ute Walter (Juristin) und Beate Jochimsen (Volkswirtin) hat vorbildlich ehrlich den Forschungsstand dahin zusammengefasst, dass man es schlicht nicht weiß. Das mag Anlass zu weiteren Untersuchungen geben, lässt aber die Aussichten schwinden, dass das BVerfG auf der jetzt erreichten Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse einen generellen Ausschluss von investorbetriebenen MVZ von der Zulassung billigen würde.

2.             Renditeausrichtung vertragsärztlicher Tätigkeit

Die Schwierigkeiten einer passgenauen Regulierung haben ihren Grund natürlich auch darin, dass die Vorstellung, bei ärztlichen und zahnärztlichen Behandlungen dürfe die Ausrichtung auf den wirtschaftlichen Erfolg einer Praxis schlechthin keine Rolle spielen, naiv ist. Jeder Orthopäde und Unfallchirurg, der berufsrechtlich Röntgenleistungen auf seinem Fachgebiet erbringen darf, muss genau kalkulieren, ob sich Anschaffung und Betrieb eines solchen Gerätes lohnen, oder ob er – wie viele Angehörige seiner Arztgruppe – die Patienten an Radiologen überweisen soll, bei denen die Geräte optimal ausgelastet werden können. Für die Patienten kann die Durchführung von Röntgenleistungen sofort in der Praxis Vorteile haben; das wirtschaftliche Risiko einer möglicherweise nicht ausgelasteten und deshalb nicht wirtschaftlich nutzbaren Röntgenanlage nimmt ihm die Kassenärztliche Vereinigung nicht ab [4]. Problematisch ist, wenn die Indikation für einen Eingriff (auch) davon abhängig gemacht wird, welche wirtschaftlichen Interessen damit für den behandelnden Arzt verbunden sind. Dass die damit verbunden Gefahr medizinisch nicht notwendiger Operationen besteht, ist kaum in Frage zu stellen. Anders ist nicht erklärbar, dass in Deutschland so viel mehr künstliche Hüft- und Kniegelenke eingesetzt, Herzklappen erneuert und Kinder kieferorthopädisch behandelt werden als in den meisten anderen europäischen Ländern. Das mag begrenzt auch Ausdruck eines höheren Versorgungsniveaus sein, hat aber auch mit dem wirtschaftlichen Anreiz für die Leistungserbringer zu tun. Das Problem ist nur: Das alles gab und gibt es, bevor die MVZ am Markt erschienen sind, und es tritt auch dort auf, wo sie keine Rolle spielen, etwa bei gemeinnützigen Krankenhäusern. Wenn der Gesetzgeber an der (möglichen) Kommerzialisierung der Versorgung nichts ändern kann oder will, aber gleichwohl MVZ in der Hand von Finanzinvestoren künftig ausschließen möchte, müsste plausibel gemacht werden können, dass die Risiken für eine alleine auf den  medizinischen Bedarf ausgerichteten Versorgung bei solchen MVZ besonders groß sind. Die Studie, die das IGES dazu an Hand von Fallwerten aus bayerischen Praxen in verschiedener Rechtsform (Einzelpraxis, BAG, MVZ in der Hand von Ärzten, MVZ in der Hand von Finanzinvestoren) erstellt hat [5], belegt das in der erforderlichen Breite und Eindeutigkeit jedenfalls nicht.

3.             Folgen unfreiwilliger Marktaustritte von MVZ für die Versorgung

Auch der Aspekt der „Buy-and-Build“- Strategie von Finanzinvestoren auf die vertragsärztliche Versorgung rechtfertigt derzeit keine andere Einschätzung. Es müssten Konstellationen benannt werden können, in denen versorgungsrelevante MVZ-Ketten so kurzfristig vom Markt gegangen sind, dass es zu Engpässen gekommen ist. Davon ist mir zumindest nichts bekannt; der erfolgreiche Verkauf eines übernommenen „Unternehmens“ und nicht dessen Scheitern ist doch das Geschäftsmodell von Private-Equity-Fonds. Es müsste belegt werden können, dass der Marktaustritt eines oder mehrerer investorbetriebener MVZ mehr als der theoretisch nie auszuschließende „Worst Case“ dieses Geschäftsmodells ist. Zudem können die in einem insolventen MVZ tätigen angestellten Ärzte auf der Basis von vertraglichen Vereinbarungen mit dem MVZ-Betreiber nach der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung [6] verlangen, dass dieser die Umwandlung der Anstellungsgenehmigungen in besetzbare Vertragsarztsitze beantragt, so dass die betroffenen Ärzte im angestammten Planungsbereich auch nach dem Ausscheiden des MVZ weiter tätig sein können. Die bundesweit beachtete Insolvenz eines großen Berliner MVZ [7] hat jedenfalls die ärztliche Versorgung dort nicht erkennbar gefährdet. Es steht nicht in Frage, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf das überragend wichtige Gemeinschaftsgut der Sicherung der ambulanten Versorgung nicht abwarten muss, bis es zu gravierenden Verwerfungen kommt; eine plausible Gefährdungsprognose reicht insoweit im Bereich des Art. 12 Abs. 1 GG aus. Ob diese Plausibilisierung gelingen kann, ist jedoch nicht sicher. Der Boom der investorengestützten MVZ ist mit dem Verzicht auf die fachübergreifende Struktur von MVZ im Zuge des Versorgungsstärkungsgeseztes 2015 ausgelöst worden, weil erst danach etwa rein augenärztliche MVZ gegründet werden durften. Auch in der Zeit danach sind jedoch keine Hinweise auf Verwerfungen in der Versorgung durch den kurzfristen Wegfall von örtlich oder regional systemrelevanten MVZ bekannt geworden.

4.             Beitrag der MVZ zur Sicherung der Versorgung

Weiterhin argumentieren die publizistischen Vertreter solcher Investoren damit, dass zumindest in ländlichen Regionen etwa augenärztliche Sitze überhaupt nur nachbesetzbar waren, weil ein MVZ den interessierten Ärzten die Risiken der Praxisfortführung abgenommen hatte. Das mag deutlich interessengeleitet sein, müsste in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren aber konkret widerlegt werden. Das Argument der Träger etwa von investorengestützten augenärztlichen MVZ geht dahin, dass diese auch im ländlichen Raum die konservative, also nicht operative Augenheilkunde anbieten und sich das wirtschaftlich wegen der Größe des Praxisverbundes und der Vielzahl unterschiedlich ausgerichtete Standorte „leisten“ können. Es dürfte theoretisch plausibel sein, dass das auch über größere BAG und mit Hilfe dieser BAG angeschlossenen vertragsärztlichen Zweigpraxen in ländlichen Gebieten erreichbar wäre, doch ist das verfassungsrechtlich kein sehr starkes Argument. Die Zulassung von MVZ war auch von der Vorstellung geprägt, diese könnten über die Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung sowie durch die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Ärzte  im Anstellungsverhältnis einen Beitrag zur Sicherung oder Verbesserung der ambulanten Versorgung leisten. Selbst wenn anzunehmen wäre, dass das in der Breite nicht gelungen ist, wäre das für sich genommen kein Grund, die Trägerschaft von MVZ zu ändern, solange man nicht belegen kann, dass die mit der Zulassung von MVZ verbundenen Intentionen eher realisierbar wären, wenn Finanzinvestoren grundsätzlich der Zugang zur Trägerschaft von MVZ verwehrt würde. Selbst wenn die MVZ gesetzlich eingeführt worden sein sollten, um „Gutes“ für die Versorgung zu leisten, können sie nicht einfach wieder ausgeschlossen werden, weil sie „nur“ so gut oder so schlecht versorgen wie Einzelpraxen und BAG.

V.           Gleichbehandlung von Krankenhäusern und MVZ

Die größte juristische Hürde auf dem Weg zu einem generellen Verbot von investorbetriebenen MVZ ist schließlich der Umstand, dass Finanzinvestoren zugelassene Krankenhäuser erwerben und betreiben dürfen. Das trifft etwa für die Helios-GmbH zu, deren Muttergesellschaft Fresenius KG zu relevanten Teilen Finanzinvestoren wie BlackRock und DWS gehört. Wie will man verfassungsrechtlich begründen, dass der Betrieb eines Krankenhauses (mittelbar) durch einen renditeorientierten Finanzinvestor unbedenklich, die Gründung eines MVZ durch dasselbe Krankenhaus aber aus versorgungspolitischen Gründen unerwünscht ist? Verfassungsrechtlich ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei, welchen Gefährdungen des Gemeinwohls er entgegentreten will, und eine regulatorische Maßnahme wird nicht allein deshalb verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber andernorts Missstände nicht beseitigt. Verfassungsrechtlich relevant ist aber der Gesichtspunkt der Erforderlichkeit des Eingriffs. Kann die Notwendigkeit des Ausschlusses von Finanzinvestoren vom Betrieb von MVZ wirklich belegt werden, wenn man solchen Investoren die Möglichkeit lässt, Krankenhäuser zu unterhalten, für deren Betrieb dieselben Gefährdungen von einer reinen Renditeorientierung ausgehen? Der Umsatz von Krankenhäusern und deren Einfluss auf die Versorgung ist jedenfalls deutlich größer als derjenige des ambulanten Sektors. Das belegt unter anderem die Regelung über das Zweitmeinungsverfahren in § 27b SGB V. Die dort und in der die Norm ausführenden Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses aufgeführten „mengenaffinen“ Eingriffe werden üblicherweise im Krankenhaus und nicht ambulant durchgeführt [8].

VI.        Vorrang weniger gravierender Maßnahmen

Schließlich spielt die Erforderlichkeit als Prüfungsmaßstab für regulatorische Eingriffe auch in einer anderen Hinsicht eine wichtige Rolle. Ein vollständiges Verbot investorenbetriebener MVZ ist nur zulässig, wenn die damit angestrebten Ziele nicht mit weniger harten Maßnahmen erreicht werden können. Für den vertragszahnärztlichen Versorgungsbereich sind solche mit dem TSVG eingeführt worden, um den Anteil einzelner MVZ – Betreiber an der Versorgung in einem Planungsbereich zu begrenzen. Ob das sinnvoll und umsetzbar ist, mag auf sich beruhen; verfassungsrechtlich müsste jedenfalls belegbar sein, dass damit – und ergänzend mit Hilfe von umfassenden Transparenzvorgaben – Gefährdungen der ambulanten ärztlichen Versorgung nicht begrenzt werden könnten. Zumindest müsste der Gesetzgeber vor einem völligen Verbot investorenbetriebener MVZ wohl vorschreiben, dass ein Krankenhaus MVZ nur noch in seinem räumlichen Einzugsbereich und für die Fachrichtungen gründen darf, die auch im Haus angeboten werden. Die positiven Auswirkungen für eine sektorenübergreifende Versorgung, die davon ausgehen sollen, dass ein Investor ein kleines Krankenhaus der Grundversorgung im Westerwald kauft und damit augenärztliche MVZ in ganz Deutschland gründet, sind zumindest mir noch nicht klar geworden. Mit einer entsprechenden Gesetzesinitiative der Bundesregierung ist kurzfristig zu rechnen, nachdem der für die Krankenversicherung zuständige Abteilungsleiter im BMG auf den Berliner Gesprächen zum Gesundheitswesen am 11. November 2022 dies angekündigt hat. Erst wenn auch mit diesem regulatorischen Eingriff die Gefährdungen der ambulanten Versorgung durch investorenbetriebene MVZ nicht eingeschränkt oder beseitigt werden können, könnte der generelle Ausschluss solcher MVZ von der Teilnahme an der Versorgung vor dem GG Bestand haben.

DOI: 10.13154/294-9566


[1] Näher Wenner, Festschrift Ulrich Preis, 2021, 1485

[2] Die Genehmigung zur Anstellung eines Arztes, der in einer von einer BAG geführten Praxis tätig werden soll, ist nicht – wie lange Zeit überwiegend angenommen – einem einzelnen Arzt sondern „der“ BAG zu erteilen; BSG v. 4.5.2016 – B 6 KA 24/15 R, BSGE 121, 154

[3] Im Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung ist mit § 95 Abs. 1b SGB V eine Regulierung erfolgt. Ein Krankenhaus darf danach in einem Planungsbereich über seine MVZ nur einen beschränkten Anteil an der Sitzen halten.

[4] BSG v. 7.2.1996 – 6 RKa 6/95 SozR 3- 5533 Nr. 763 zum Fall eines Internisten, der sich ganz auf bestimmte endoskopische Leistungen spezialisiert hatte und die Bewertung dieser Leistungen für unangemessen niedrig hielt. Das BSG hat ihm entgegengehalten, das Risiko der mangelnden Rentabilität seiner Spezialpraxis müsse er selbst tragen.

[5] Vom IGES in Berlin im April 2022 präsentiert und auf der Seite des IGES mit den wesentlichen Aussagen verfügbar

[6] BSG v. 11.10.2017 – B 6 KA 27/16 R, SozR 4- 2500 § 95 Nr. 32 Rn. 47

[7] Sachverhalt und rechtliche Würdigung in BSG v. 21.3.2012 – B 6 KA 22/11 R, SozR 4- 2500 § 95 Nr. 24 ; das BVerfG hatte die aufschiebende Wirkung der Rechtsmittel der MVZ-Betreibergesellschaft für die gesamte Dauer des gerichtlichen Verfahrens wiederhergestellt (Rn. 59); das hat natürlich die Möglichkeiten der angestellten Ärzte zur beruflichen Neuorientierung erleichtert, weil das MVZ nicht vom einen auf den andere Tag seinen Betrieb einstellen musste.

[8] In der Zweitmeinungsrichtlinie des G-BA, die zuletzt am 19.5.2022 ergänzt worden ist, werden als Eingriffe, vor deren Durchführung das Zweitmeinungsverfahren in Betracht kommt, u.a. Gebärmutterentfernungen, Amputation beim diabetischen Fußsyndrom, endoprothetische Eingriffe am Knie und an der Wirbelsäule sowie die Implantation eines Herzschrittmachers aufgeführt, für die eine ambulante Leistungserbringung entweder ausgeschlossen oder doch praktisch die seltene Ausnahme ist.

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