Abstract: Dieser Beitrag dokumentiert die Zusammenfassung eines ausführlichen Rechtsgutachtens, in dem aktuelle rechtspolitische Vorschläge untersucht werden, die bestehende Verbote und Beschränkungen verschärfen wollen bzw. neue Verbote und Beschränkungen vor allem im Hinblick auf die Träger- und Inhaberstrukturen von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) enthalten.
A. Einführung
In der von der Bundesärztekammer, einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen und einigen Bundesländern jüngst forcierten Diskussion mischen sich bedenkenswerte Anliegen mit Vorurteilen und Stereotypen („Heuschrecken“). Für die von Verboten und Beschränkungen betroffenen Unternehmen steht dadurch die Existenz auf dem Spiel, Gründern würde die Perspektive genommen, Ärztinnen und Ärzten der Arbeitsplatz, Patientinnen und Patienten eine Versorgungsform. Ist das angesichts einer heute schon vielerorts prekären Versorgungssituation überhaupt verantwortbar? Wie passt das zu den weitgehend geteilten Zielen einer Stärkung der ambulanten Versorgung bzw. von Gesundheitszentren, und wie sollen die dringend benötigten Investitionen in Telemedizin und KI gestemmt werden? Hinter all dem geht es darum, ob zwischen der Inhaberstruktur und der Versorgungsqualität ein relevanter Zusammenhang besteht (und wenn, warum nur im ambulanten Bereich?). Damit beschäftigt sich ein vom Bundesverband der Betreiber medizinischer Versorgungszentren e.V. (BBMV) beauftragtes Rechtsgutachten des Verf. im Umfang von rund 100 Seiten (vgl. http://www.bbmv.de/news.).
B. Zusammenfassung des Gutachtens
1. Besonders betroffen von den vorgeschlagenen Maßnahmen wären MVZ in der Trägerschaft von Krankenhäusern, deren Inhaber (wirtschaftliche Eigentümer) nichtärztliche private Kapitalgeber sind (näpkMVZ). Die seit 2004 bestehende Versorgungsform des MVZ besitzt unbestrittenermaßen eine Reihe von Vorzügen, insbesondere auch aus der Sicht der Patientinnen und Patienten sowie der dort Mitarbeitenden. Mehrere dieser Vorzüge können in einem näpkMVZ noch einmal gesteigert sein.
2. Verfassungsrechtliche Grenzen ergeben sich aus verschiedenen Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes (GG) und der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 des AEU-Vertrages (AEUV). Mindestens zwei Verbotsvorschläge enthalten objektive Berufszugangsregelungen, für die besonders hohe Rechtfertigungsanforderungen gelten. Angesichts bereits bestehender erheblicher Versorgungslücken und einer wachsenden Unterversorgung in immer mehr Regionen muss überdies die verfassungsrechtlich verankerte Verantwortung des Staates für eine qualitativ hochwertige und flächendeckende Gesundheitsversorgung im Blick behalten werden.
3. Unmittelbarer Gegenstand der Untersuchung sind die in einem Positionspapier der Bundesärztekammer vom 9.1.2023 zusammengestellten Verbots- bzw. Beschränkungsvorschläge und die teilweise übereinstimmenden, teilweise weiterreichenden oder auch zurückbleibenden Verbots- und Beschränkungsvorschläge aus einem gegenwärtig vorbereiteten Entschließungsantrag des Bundesrates. Von diesen Vorschlägen wären deutlich über 2.000 MVZ und über 10.000 Ärztinnen und Ärzte negativ betroffen. Im Koalitionsvertrag der die gegenwärtige Bundesregierung tragenden Parteien aus Dezember 2021 fehlen dahingehende Pläne. Im Gegenteil wird dort das Ziel der Stärkung sektorenübergreifender Ansätze sowie die Notwendigkeit eines Ausbaus multiprofessioneller, integrierter Gesundheitszentren betont.
4. Im Kern der Untersuchung steht die Frage, ob Zusammenhänge zwischen dem Wohl der Patienten bzw. einer qualitativ hochwertigen, flächendeckenden und finanzierbaren Versorgung einerseits und bestimmten MVZ-Trägern (insbesondere in ärztlichem Eigenbesitz oder in der Hand externer Kapitalgeber) andererseits bestehen. Die Bundesregierung hatte noch im Januar 2023 erklärt, dass ihr „keine ausreichenden Erkenntnisse zur Beantwortung dieser Frage“ vorliegen.
5. Seit der Einführung einer Teilnahme von MVZ an der vertragsärztlichen Versorgung im Jahr 2004 bewegen sich diese innerhalb eines intensiven, aus zahlreichen Verboten und Beschränkungen bestehenden Rechtsrahmens, sowohl bei der Zulassung (und insbesondere betreffend die Gründungsberechtigung) als auch beim Betrieb. Hinsichtlich sämtlicher Rechtsfragen im Außenverhältnis zu Patienten und zu den gesetzlichen Krankenkassen bestehen keine Privilegierungen gegenüber der Leistungserbringung durch niedergelassene Vertragsärzte. Höhe und Struktur der vertragsärztlichen Vergütung sind bis ins kleinste Detail durch Regelungen auf sämtlichen rechtlichen Ebenen determiniert und durch die Träger nicht beeinflussbar.
6. Verfassungs- und europarechtliche Schutznormen bestehen zunächst zugunsten der MVZ-Trägerunternehmen. Diese sind grundsätzlich geschützt durch das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, durch den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG und durch die Eigentumsfreiheit nach Art. 14 GG. Sodann darf der Grundrechtsschutz der angestellten Ärztinnen und Ärzte in einem MVZ sowie der Schutz der an einer Verwertung ihrer Praxis interessierten Vertragsärzte nicht außer Acht bleiben. Die Patienten können in ihrem Grundrecht auf freie Arztwahl beeinträchtigt sein. All dies führt dazu, dass sämtliche Verbote und Beschränkungen verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden müssen. Entsprechendes gilt für Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV.
7. Im Mittelpunkt der Rechtfertigungsprüfung steht jeweils das Bestehen hinreichend gewichtiger Gemeinwohlbelange und die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Aus diesem ergeben sich nach neuerer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erhöhte Anforderungen, wenn mehrere wissenschaftliche Studien vorliegen sowie bei Wiedereinführung einer verbietenden bzw. beschränkenden Regelung. Der EuGH verlangt von Verboten und Beschränkungen, dass diese „in kohärenter und systematischer Weise“ erfolgen müssen und seine Kontrolldichte ist umso höher, je intensiver die zu beurteilende mitgliedstaatliche Maßnahme belastend auf die Niederlassungsfreiheit wirkt.
8. Nicht grundsätzlich verfassungs- bzw. europarechtlich zu beanstanden, sondern (teilweise) nach noch notwendigen Präzisierungen bzw. Modifikationen statthaft wäre ein Verbot der sog. Konzeptbewerbung im Nachbesetzungsverfahren und (u.U.) ein Verbot der weiteren Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung bei fehlender Gewährleistung ärztlicher Entscheidungsfreiheit sowie die Überprüfung der Versorgungsaufträge hinsichtlich der Kernleistungen. Auch (innerhalb eines bestimmten Rahmens) verschärfte Transparenzvorgaben wären grundsätzlich möglich.
9. Die folgenden Verbotsvorschläge stießen hingegen an unüberwindbare verfassungs- bzw. europarechtliche Grenzen:
- Ein Verbot von MVZ ohne örtlichen (und fachlichen) Bezug zu einer Klinik
- Ein Verbot von fachgleichen MVZ
- Ein Verbot von MVZ bei Überschreitung bestimmter Marktanteile
- Ein Verbot von Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen
- Ein Verbot des Arztstellenerwerbs im Wege des Zulassungsverzichts im Nachbesetzungsverfahren
- Die rückwirkende Geltung insbesondere der intensivsten Verbote.
10. Ferner ließen sich die folgenden Beschränkungsvorschläge aus verfassungs- bzw. europarechtlichen Gründen nicht realisieren:
- Eine Unterstellung des MVZ-Trägers unter die Disziplinargewalt der Kassenärztlichen Vereinigung
- Mehrere der bislang vorgeschlagenen Beschränkungen betreffend die Ausgestaltung der Rechtsstellung des ärztlichen Leiters in einem MVZ.
DOI: 10.13154/294-9941
ISSN: 2940-3170
Schreibe einen Kommentar