KI-basierte Medizinprodukte in der Radiologie


  • Prof. Dr. Peter Wigge

    Der Autor ist Partner in der Anwaltskanzlei Rechtsanwälte Wigge und hat die auf das Medizinrecht spezialisierte Kanzlei im Jahr 2001 gegründet. Er ist weiterhin als Honorarprofessor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster für Medizin- und Gesundheitsrecht tätig.

Abstract: Das Gesundheitswesen befindet sich derzeit in einer digitalen Transformation. Dieser Beitrag setzt sich mit den rechtlichen Herausforderungen auseinander, welche die Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Radiologie eröffnet. Diskutiert werden insbesondere die regulatorischen Voraussetzungen für die Leistungserbringung, die Abrechnungsmöglichkeiten KI-basierter Softwareapplikationen sowie die Aufklärung des Patienten über den Einsatz von KI.

I.              Einführung

Das Gesundheitswesen befindet sich derzeit in einer digitalen Transformation. Insbesondere die Künstliche Intelligenz (KI) kommt in der Medizintechnik zur Anwendung und ist von steigender Bedeutung in der bildgebenden Diagnostik.

Erwähnenswert ist unter anderem eine jüngst entwickelte Softwareapplikation, welche Abnormalitäten in von medizinisch bildgebenden Verfahren (insbesondere Magnetresonanztomographie, Computertomographie und konventionelles Röntgen) erzeugten Aufnahmen identifiziert, lokalisiert und analysiert. Der Softwareapplikation (nachfolgend: App) liegen Machine-Learning-Algorithmen zugrunde, die Bildaufnahmen analysieren, indem sie Signalintensität oder Veränderungen in der Dichte erkennt, lokalisiert und quantifiziert. Diese Veränderungen können auf eine mögliche Schädigung, Verletzung oder Störung, wie dies bei potenziell malignen Tumoren der Fall ist, hinweisen. Die Ergebnisse werden anschließend verbalisiert und visualisiert. Unter Umständen können zeitkritische Befunde erkannt und als solche gekennzeichnet werden. Die Entwicklung und das Training der Algorithmen erfolgen durch eine auf Machine-Learning-Methoden basierten Auswertung vieler medizinischer Bilder inklusive derer von unterschiedlichen medizinischen Experten erstellten Befunde und Segmentationen. Der Ansatzpunkt der App sind die spezifischen menschlichen Risiken, die der Befundung von radiologischen Bildaufnahmen durch Fachärzte anhaften, indem sie das Risiko durch die Analyse und Verfügbarkeit einer großen Datenmenge reduziert und die ärztliche Leistung im Sinne einer „Zweitmeinung“ ergänzt.

Der Einsatz dieser neuen Methodik der Befundung in der Radiologie birgt neben den Vorteilen – u.a. Erstellung möglichst genauer Diagnosen, Reduzierung des Risikos von Befundungsfehlern, Individualisierung von Therapien und frühzeitige Erkennung von Krankheiten – auch neue rechtliche Fragestellungen.

II.           Regulatorische Voraussetzungen für die Leistungserbringung

Die Anwendung KI-basierter Apps in der radiologischen Diagnostik stellt eine relativ neue Möglichkeit der Befundung dar. Die rechtlichen und regulatorischen Voraussetzungen der Anwendung gegenüber dem Patienten sind daher noch weitestgehend unklar. Es stellt sich insbesondere die Frage, ob eine solche Leistung bei gesetzlich versicherten Patienten als Individuelle Gesundheitsleistung (sog. IGeL) erbracht werden kann.

1.             Leistungsrechtliche Einordnung nach dem SGB V

Voraussetzung für die Anwendung der App im Rahmen der radiologischen Befundung sowie deren Abrechnung gegenüber gesetzlich versicherten Patienten im ambulanten Bereich ist, dass dieser Gegenstand des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist.

Die vertragsärztliche Versorgung umfasst gemäß § 73 Abs. 2 Satz 1 SGB V sowohl die ärztliche Behandlung (§ 28 SGB V), als auch die Versorgung mit Arznei- und Verbandmittel (§ 31 SGB V) sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen (§ 33a SGB V). Dem gegenüber steht der Leistungsanspruch des Versicherten, der gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V Leistungen zur Behandlung einer Krankheit umfasst. Gemäß § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Krankenhausbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.

Die Einordnung einer KI-basierten App in das System vertragsärztlicher Versorgung ist zunächst abhängig davon, wie diese als Medizinprodukt leistungsrechtlich einzuordnen ist. Der Begriff des Medizinproduktes ist in Artikel 2 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte definiert:

„Medizinprodukt“ bezeichnet ein Instrument, einen Apparat, ein Gerät, eine Software, ein Implantat, ein Reagenz, ein Material oder einen anderen Gegenstand, das dem Hersteller zufolge für Menschen bestimmt ist und allein oder in Kombination einen oder mehrere der folgenden spezifischen medizinischen Zwecke erfüllen soll:

  • Diagnose, Verhütung, Überwachung, Vorhersage, Prognose, Behandlung oder Linderung von Krankheiten
  • […]“

Bei einer KI-basierten App handelt es sich um eine Software, die die Funktion zur Diagnose, Vorhersage oder Prognose von Krankheiten entsprechend der vom Hersteller festgelegten Zweckbestimmung nachweislich erfüllt. Sie stellt somit ein Medizinprodukt i. S. d. Verordnung (EU) 2017/745 dar.

Das SGB V sieht für die Frage der Erstattungsfähigkeit von Medizinprodukten keine ausdrückliche Regelung vor, da das Gesetz den Begriff „Medizinprodukt“ als leistungsrechtliche Kategorie in § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB V nicht erwähnt. Medizinprodukte sind nicht explizit Gegenstand des Leistungskataloges. Da eine eigenständige Erstattungskategorie fehlt, müssen die Produkte, die nach der EU-Verordnung als Medizinprodukte gelten, somit den vom Leistungsrecht des SGB V vorgesehenen verwandten Kategorien zugeordnet werden. Eine Zuordnung des betreffenden Medizinprodukts zu den einzelnen Leistungsansprüchen im Rahmen der Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 S. 2 SGB V und deren Abgrenzung erfolgt somit einzelfallbezogen.

a)             KI-basierte Apps als Arznei- und Verbandmittel gemäß § 31 SGB V

In den §§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 SGB V werden Arzneimittel genannt. Die KI-basierte App als Medizinprodukt fällt zwar nicht unter den Arzneimittelbegriff des AMG gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG, was unter anderem daran liegt, dass Arzneimittel eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung entfalten, während Medizinprodukte im Regelfall überwiegend mechanisch oder physikalisch funktionieren. Nach Auffassung des BSG[1] scheidet ein Mittel allerdings nicht schon deswegen aus der Leistungspflicht der GKV aus. Das BSG unterscheidet zwischen dem Arzneimittelbegriff nach dem AMG und dem krankenversicherungsrechtlichen Begriff des Arzneimittels nach dem SGB V. Arzneimittel im Sinne des SGB V sind Substanzen, deren bestimmungsgemäße Wirkung darin liegt, Krankheitszustände, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden durch Anwendung am oder im menschlichen Körper zu heilen oder zu verbessern. Die Erstattungsfähigkeit eines Medizinproduktes in der GKV ist daher daran gebunden, ob sich dieses unter den Arzneimittelbegriff des § 31 SGB V als arzneimittelähnliches Produkt subsumieren lässt.

§ 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V sieht in seiner aktuellen Fassung vor, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) nach § 92 Abs.1 S. 2 Nr. 6 SGB V festzulegen hat, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt sind, in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden. Der Begriff der Stoffe ist in § 3 AMG als chemische Elemente, pflanzliche oder tierische Bestandteile und Microorganismen definiert.

Da die Funktionsweise einer KI-basierten App auf Grundsätzen der Physik und Informatik beruht und ein Algorithmus ist, stellt diese nach dieser Definition kein Medizinprodukt dar, das in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden kann. Mangels unmittelbaren Aufbringen bzw. Auftragen von Stoffen oder Zubereitung aus Stoffen auf die Körperoberfläche[2] – es werden lediglich die durch die radiologische Untersuchung gewonnenen Schnittbilder des Patienten bewertet – wird die App auch nicht im/am Körper angewendet. Mithin ist sie kein arzneimittelähnliches Produkt i. S. d. § 31 Abs.1 S. 2 SGB V.

b)            KI-basierte Apps als digitale Gesundheitsanwendung gemäß § 33a SGB V

Mit dem „Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation“ (Digitale Versorgung Gesetz, DVG) wurde die sog. digitalen Gesundheitsanwendungen gemäß § 33 a SGB V eingeführt.

Der Leistungsanspruch nach § 33a SGB V beinhaltet Software und Medizinprodukte, die auf digitalen Technologien basieren, eine gesundheitsbezogene Zweckbestimmung und ein geringes Risikopotenzial haben. Damit die Kosten einer digitalen Gesundheitsanwendung (DiGA) in der GKV erstattet werden, muss gemäß § 33a Abs. 2 S. 2 SGB V eine Aufnahme in ein Verzeichnis erfolgt sein, welches das Bundesinstitut für Arzneimittel führt. Zudem muss die DiGA ärztlich verordnet werden oder die zuständige Krankenkasse muss die Zustimmung erteilt haben.

§ 33a SGB V stellt eine neue Versorgungsform für Patienten dar. Das Medizinprodukt muss vom Hersteller dazu bestimmt sein, in der Regel von den Versicherten selbst verwendet zu werden. Eine Unterstützung in der Handhabung oder teilweisen Mitverwendung durch die Leistungserbringer ist zwar zulässig, jedoch sind DiGA, die ausschließlich von Leistungserbringern und nicht vom Patienten selbst verwendet werden, davon nicht erfasst. Die einschränkende Auslegung ergibt sich zwar nicht direkt aus dem Wortlaut der Norm, aber aus dem Verordnungserfordernis des § 33 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB V.[3]

Eine KI-basierte App ist zur Anwendung durch den Arzt und nicht durch den Patienten selbst bestimmt und stellt damit keine digitale Gesundheitsanwendung i. S. d. § 33a SGB V dar.

2.             KI-basierte Apps als Bestandteil der ärztlichen Behandlung gemäß § 28 Abs. 1 SGB V

Die ärztliche Behandlung umfasst die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Umfasst sind alle Maßnahmen der ambulanten medizinischen Versorgung der Versicherten. Mithilfe der App können Aufnahmen aus bildgebenden Verfahren ausgewertet, dadurch mögliche Schädigungen, Verletzungen und Störungen (sog. Läsionen) erkannt und frühzeitig behandelt werden. Sie stellt damit als Untersuchung einen Teil einer ärztlichen Behandlung dar. Damit diese Leistung an einem GKV-Patienten erbracht und zulasten der GKV abgerechnet werden kann, muss sie gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 1 SGB V Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sein. Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sind zunächst alle im Leistungsverzeichnis des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) aufgeführten Leistungen.

Die Leistungsinhalte der für die radiologische Diagnostik maßgebenden Gebührenordnungspositionen (GOP) des EBM sind in den Abschnitten 24 und 34 aufgeführt.

Der EBM sieht derzeit keine spezielle Gebührenordnungsposition für KI-Leistungen vor. Die Analyse von Aufnahmen bildgebender Verfahren mittels der Software könnte jedoch bereits von anderen im EBM beschriebenen Leistungen erfasst sein. In Frage kommen für die Magnetresonanztomographie die GOP 34411 – MRT-Untersuchung von Teilen der Wirbelsäule (a), die GOP 24210-24212 als Konsiliarpauschalen (b) oder die GOP 34269 – Phlebographie – sowie die GOP 34295 – Zuschlag Computergestützte Analyse unter Umständen in analoger Anwendung (c).

Soweit dies der Fall ist, kann die KI-Leistung unter dieser abgerechnet werden. Nach der Rechtsprechung des BSG[4] dürfen die Leistungsbeschreibungen allerdings nicht ausdehnend oder analog angewendet werden. Dies wird nachfolgend für Befundung mithilfe einer KI-basierten App an MRT-Aufnahmen dargestellt.

a)             GOP 34411 EBM (Abschnitt 34.4 des EBM)

Für die Magnetresonanztomographie (MRT) kommt unter anderem GOP 34411 – MRT-Untersuchungen von Teilen der Wirbelsäule in Betracht. Diese enthält folgenden obligaten Leistungsinhalt:

  • Darstellung mindestens des gesamten Wirbelsäulenabschnittes der HWS (HWK1 bis HWK7/BWK1) oder
  • Darstellung des gesamten Wirbelsäulenabschnittes der BWS (BWK1 bis LWK1) oder
  • Darstellung des gesamten Wirbelsäulenabschnittes und/oder
  • Darstellung in zwei Ebenen

Bei strenger Auslegung nach dem Wortlaut ist Leistungsinhalt die Darstellung einer der genannten Wirbelsäulenabschnitte. Die GOP kann folglich bis zu dreimal je Abschnitt abgerechnet werden.  Ob neben der Darstellung im Rahmen der radiologischen Leistung auch die Befundung der Aufnahmen gehört, lässt sich dem Wortlaut der GOP nicht eindeutig entnehmen.

Bestandteil der obligaten Leistungsinhalte sind gemäß I.2.1 Abs. 7 EBM auch die in der Überschrift zu einer Gebührenordnungsposition aufgeführten Leistungsinhalte. Obligater Leistungsinhalt der GOP 34411 EBM ist somit auch die „Untersuchung“ mittels MRT in Form der Darstellung des jeweiligen Abschnitts der Wirbelsäule. Unter Darstellung ist die bildhafte Wiedergabe durch einen Kernspintomographen als bildgebendes Verfahren der Röntgendiagnostik zu verstehen. Der Wortlaut der GOP 34411 gibt zunächst keine Anhaltspunkte dafür, inwieweit der Begriff der „Untersuchung“ darüber hinaus geht und eine Befundung dieser bildhaften Darstellung mit umfasst.

Eine medizinische Untersuchung ist die Summe der diagnostischen Tätigkeiten und Verfahren, die vom Arzt im Rahmen der Patientenversorgung durchgeführt und veranlasst werden. Die klinische Untersuchung kann dabei auch durch gerätegestützte Verfahren (sog. Diagnostik), wie die Kernspintomographie oder andere bildgebende Verfahren, erweitert werden.[5] Inwieweit diese Diagnostik allein die Darstellung oder ergänzend auch noch eine Auswertung des Bildmaterials umfasst, lässt sich dieser Definition nicht entnehmen.

Auch wenn das Verfahren der MRT nicht mithilfe ionisierender Strahlung durchgeführt wird, könnten als Vergleich andere bildgebende Verfahren, wie das konventionelle Röntgen oder die Computertomographie (CT), herangezogen werden. Diese Verfahren bestehen ebenfalls aus einer bildhaften Darstellung und einer sich anschließenden Befundung derselben. Für diese Verfahren gilt das Strahlenschutzgesetz (StrlSchG). Dieses unterscheidet in § 5 Abs. 3 zwischen den beiden Begrifflichkeiten der „Untersuchung“ und der „Befundung“. Der Wortlaut des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StrlSchG lautet:

„(3) Anwendung ionisierender Strahlung oder radioaktiver Stoffe am Menschen: Technische Durchführung

1. einer Untersuchung mit ionisierender Strahlung oder radioaktiven Stoffen und die    Befundung der Untersuchung oder

2.           […]“

Die Unterscheidung zwischen der „Untersuchung“ und der „Befundung“ in § 5 Abs. 3 Nr. 1 StrlSchG hat zur Folge, dass die Leistungen getrennt voneinander durchgeführt werden. Folglich beinhaltet eine Untersuchung im Strahlenschutzrecht nicht zugleich die Befundung. Da die Kernspintomographie ebenfalls ein bildgebendes Verfahren darstellt, könnte diese Definition für die Begriffsabgrenzung auf sie übertragen werden. Zur Abgrenzung dürfte der Einsatz ionisierender Strahlung keine Rolle spielen, so dass davon ausgegangen werden könnte, dass der Begriff der „Untersuchung“ auch im EBM die Befundung nicht mit umfasst.

Eine weitere, über den Wortlaut hinausgehende Auslegung der GOP 34411 wäre nur zulässig, wenn der Leistungsinhalt des in Frage stehenden Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es daher einer Klarstellung bedarf.[6] In diesem Zusammenhang darf der Leistungsgegenstand anhand eines Vergleichs mit anderen ähnlichen Leistungstatbeständen und der systematischen Stellung im EBM ausgelegt werden. Ergänzend könnten auch die Präambeln der jeweiligen Abschnitte zur Auslegung herangezogen werden. Ziffer 4 der Präambel zu Abschnitt 34 lautet:

4. „In den Gebührenordnungspositionen dieses Kapitels sind die Beurteilung, obligatorische schriftliche Befunddokumentation, […] enthalten.“

Die GOP 34411 beinhaltet somit auch die Befundung der einzelnen MRT-Aufnahmen der jeweiligen Abschnitte.

Inwieweit die Befundung mithilfe der KI-basierten App im Rahmen der GOP 34411 mit umfasst ist, ist allerdings nicht eindeutig feststellbar.  Es ist letztendlich nicht auszuschließen, dass die Anwendung einer App im Rahmen der Auswertung der MRT-Aufnahmen bei GKV-Patienten dem befundenden Radiologen lediglich als zusätzliches „Hilfsmittel“ dient. Dies hätte die Konsequenz, dass die Leistung einer App Bestandteil der Befundung im Rahmen der Untersuchung der GOP 34411 EBM und eine separate Abrechnung nicht möglich wäre.

b)            GOP 24210 – 24212 EBM (Abschnitt 24.2 des EBM)

Als weiterer Vergleich zur GOP 34411 EBM bieten sich auch die radiologischen Konsiliarpauschalen nach den GOP 24210-24212 EBM an.

Die GOP 24210 – 24212 EBM sind nach Alter des Patienten gestaffelt und enthalten folgende Leistungsinhalte:

            Obligater Leistungsinhalt

  • Persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt,
  • Überprüfung der vorliegenden Indikation,

             Fakultativer Leistungsinhalt

  • Veranlassung und Durchführung der radiologischen Untersuchung(en),
  • Interpretation,
  • In Anhang 1 aufgeführte Leistungen,

      einmal im Behandlungsfall.

Eine Berechnung dieser GOP kommt zunächst nur in Betracht, wenn es zu einem Arzt-Patienten-Kontakt gekommen ist. Die Veranlassung und Durchführung der Untersuchung sowie die Interpretation von Befunden sind nicht obligater Leistungsbestandteil. Diese werden je nach den Erfordernissen des Einzelfalls vom überweisenden Arzt erbracht. Dennoch entbindet dies den Radiologen nicht von der Verpflichtung zur Überprüfung der Indikation vor Durchführung der jeweiligen Untersuchung.[7] Wenn je nach Lage des Falles jedoch von dem Radiologen, an den der Patient überwiesen wird, erwartet wird, dass er sich ein eigenes fachliches Urteil über die in Anbetracht der diagnostischen Fragestellung notwendigen Untersuchungsmethoden bildet, muss er gegebenenfalls neben einer Beratung auch eine orientierende Untersuchung durchführen, diese befunden und deren Ergebnisse mit dem Patienten besprechen. Dies bildet dann der Leistungsinhalt der GOP 24210 – 24212 EBM ab.

Soweit bei der Untersuchung die App zum Einsatz kommt, wäre auf jeden Fall eine Befundung durch den jeweiligen Radiologen, zu dem der Patient überwiesen wird, erforderlich. Fraglich ist nur, ob dies unter den Begriff der „Interpretation“ fällt. Mit dem Begriff „Interpretation“ könnte einerseits die Interpretation durch den Radiologen allein aufgrund seiner eigenen ärztlichen Erfahrung gemeint sein, andererseits könnte die Interpretation auch unter Verwendung etwaiger (technischer) Hilfsmittel wie einer KI-basierten App erfolgen. Es ist also ausgehend vom Wortlaut unklar, ob die Leistung einer App Bestandteil der GOP 24210 – 24212 EBM ist. Es bedürfte daher einer über den Wortlaut hinausgehenden systematischen Auslegung, welche im an geeigneter Stelle noch vorgenommen wird.

c)             GOP 34294, 34295 und 34296 EBM

Die GOP 34294 EBM Phlebographie sieht als obligaten Leistungsinhalt lediglich die Darstellung und die Kontrastmitteleinbringung vor, während die GOP 34294 einen Zuschlag für die computergestützte Analyse enthält.

Gemäß Abschnitt I.4.2 des EBM wird mit Zusatzpauschalen der gesonderte Leistungsaufwand vergütet, der sich aus den Leistungs-, Struktur- und Qualitätsmerkmalen des Vertragsarztes und, soweit dazu Veranlassung besteht, in bestimmten Behandlungsfällen ergibt.

Bei der computergestützten Analyse handelt es sich somit um einen besonderen Leistungsaufwand, der nicht Leistungsinhalt der Hauptleistung der GOP 34294 EBM ist. Der EBM unterscheidet hier zwischen zwei voneinander getrennten Leistungen, die Auswertung/Befundung allein durch den Radiologen und die zusätzliche computergestützte Analyse in bestimmten Behandlungsfällen.

Bei der Phlebographie des Brust- und Bauchraumes – GOP 34296 EBM ist die „computergestützte Analyse“ Bestandteil des obligaten Leistungsinhalts der Hauptleistung, gehört also zur Hauptleistung selbst. Eine Zusatzpauschale sieht der EBM nicht vor. Der Leistungsinhalt dieser GOP wird somit nicht allein durch die übliche Befundung am Monitor erfüllt, sondern erfordert hier die Durchführung von Rechenprozessen, deren Ergebnisse diagnostisch relevante Daten erwarten lassen.

Dass der EBM bei den GOP für die Phlebographie separat von der Befundung am Monitor die Auswertung der Aufnahmen durch eine computergestützte Leistung vorsieht, könnte im Umkehrschluss darauf schließen lassen, dass diese von der GOP 34411 bei der MRT-Untersuchung der Wirbelsäule gerade nicht erfasst ist. Bei der GOP 34411 EBM für die MRT-Untersuchung der Wirbelsäule ist eine computergestützte Analyse weder obligater Leistungsinhalt, noch sieht der EBM eine Zusatzpauschale für eine computergestützte Analyse vor.[8] Dies spricht zunächst dafür, dass der EBM eine computergestützte Analyse nur vereinzelt vorsieht und diese auch explizit als Leistungsinhalt vorgibt. Da diese im EBM für die MRT-Untersuchung der Wirbelsäule noch nicht enthalten ist, liegt bei der gebotenen systematischen Auslegung der Schluss nahe, dass es sich hierbei um eine neue innovative Methode im Leistungssystem der vertragsärztlichen Versorgung handelt. Das Ergebnis ist, dass es sich bei der Leistung der App um eine computergestützte Analyse handelt, die derzeit nicht Bestandteil einer MRT-Untersuchung der Wirbelsäule nach Abschnitt 34.4 des EBM – weder als obligater Leistungsinhalt der Hauptleistung noch über eine Zuschlagsziffer –  und somit nicht Bestandteil des EBM ist.

3.             KI-basierte Apps als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode nach § 135 Abs. 1 SGB V

Nach den obigen Feststellungen ist die Leistung einer KI-basierten App derzeit kein Bestandteil des EBM. Es könnte sich allerdings um eine neue Untersuchung- und Behandlungsmethode nach § 135 Abs. 1 SGB V handeln, deren Aufnahme in den ambulanten Leistungskatalog der GKV durch den G-BA zu erfolgen hätte.

Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen gemäß § 135 Abs. 1 SGB V in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der G-BA in seinen Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V die Empfehlung über die Anerkennung des therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit – auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden – nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung abgegeben hat. Eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode ist damit so lange nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung, bis sie vom G-BA anerkannt wurde (sog. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt).[9]

Eine Untersuchungs- und Behandlungsmethode i. S. d. § 135 Abs. 1 SGB V ist „die auf einem theoretisch-wissenschaftlichen Konzept beruhende systematische Vorgehensweise bei der Untersuchung und Behandlung einer Krankheit“[10].

„Neu“ sind Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden im materiellen Sinne, wenn sie sich bewusst von den bisher in der vertragsärztlichen Versorgung angewandten Diagnostik- und Therapieverfahren abgrenzen und sich darüber hinaus auf nicht weitgehend einhellig anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse berufen, die gerade deshalb der Prüfung auf Qualitätssicherung unterzogen werden sollen. Gemeinhin stellt die Judikatur aber auf einen für die Praxis praktikableren formellen Begriffsinhalt ab und fragt danach, ob sie als abrechnungsfähige ärztliche Leistungen noch nicht im EBM enthalten sind oder sie zwar im EBM aufgeführt sind, ihre Indikationen oder ihre Art der Erbringung in der Zwischenzeit aber wesentliche Änderungen oder Erweiterungen erfahren hat. „Neu“ ist nach diesen Grundsätzen auch diejenige Methode, die sich aus einer neuartigen Kombination verschiedener – für sich allein jeweils anerkannter oder zugelassener – Maßnahmen zusammensetzt. Diese formelle Sichtweise findet sich auch in § 2 der Verfahrensordnung des G-BA (VerfO)[11] wieder.

Der KI in Form von Deep-Learning Modellen mit Hilfe eines Algorithmus liegt ein theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde, das sie von anderen diagnostischen Verfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Untersuchung oder Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll. Sie stellt eine neue Untersuchungsmethode (im materiellen Sinne) dar, da sie sich bewusst von den bisher in der vertragsärztlichen Versorgung angewandten Diagnostik- und Therapieverfahren abgrenzt und sich ihr diagnostischer bzw. therapeutischer Nutzen aus einer bisher nicht erprobten Wirkungsweise ergibt.

Durch die Anwendung einer KI-basierten App erfährt die Befundung im Rahmen der radiologischen Diagnostik eine wesentliche Änderung und Erweiterung. Derzeit ist sie in dieser Form noch nicht als abrechnungsfähige Leistung im EBM aufgeführt, so dass auch eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode nach dem formellen Begriff vorliegt.

Eine Aufnahme der Methode durch den G-BA in dessen Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V ist noch nicht erfolgt. Mangels Anerkennung der KI-basierten App als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode vom G-BA und Aufnahme in dessen Richtlinien ist diese derzeit nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung. Mithin kann sie – auch gegenüber GKV-Patienten – lediglich privatärztlich erbracht werden.[12]

III.        Aufklärung des Patienten

Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung des Patienten in einen ärztlichen Eingriff ist dessen ordnungsgemäße Aufklärung. Diese richtet sich nach den für die Patientenaufklärung allgemein geltenden Regelungen, insbesondere die des Behandlungsvertrages gemäß §§ 630c, 630e BGB. Unterschieden wird zwischen drei Arten der Aufklärung.

1.             Selbstbestimmungsaufklärung gemäß § 630e Abs. 1 BGB

Gemäß § 630e BGB ist der Behandler verpflichtet, den Patienten vor Behandlungsbeginn über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Es handelt sich hierbei um eine sog. Selbstbestimmungs- oder Risikoaufklärung, damit der Patient seine Einwilligung wirksam im Bewusstsein über Gegenstand und Tragweite seines Rechtsgutsverzichts erteilen und damit sein Selbstbestimmungsrecht ausüben kann. Dazu muss er insbesondere über Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose und die Therapie aufgeklärt werden. Die Selbstbestimmungsaufklärung ist gemäß § 630d Abs. 2 BGB immer dann erforderlich, wenn der Eingriff eine wirksame Einwilligung des Patienten voraussetzt. Denn auch der lege artis ausgeführte ärztliche Heileingriff stellt als Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten grundsätzlich eine objektiv tatbestandliche Körperverletzung dar.

Einer Aufklärung des Patienten gemäß § 630e BGB über die Anwendung der KI-basierten App bedarf es allerdings dann nicht, wenn durch die Leistung der App kein Eingriff in die körperliche Integrität erfolgt. Der Eingriffscharakter beurteilt sich im Wesentlichen danach, ob ein Schaden an Körper und Gesundheit des Patienten nachweislich kausal auf die ärztliche Behandlung zurückzuführen ist.[13]

Zur Begründung der zivilrechtlichen Haftung des Arztes bei Leistungen der radiologischen Diagnostik wird nach Auffassung des BGH[14] ein nachweisbarer Zurechnungszusammenhang zwischen einer fehlenden Aufklärung und dem Auftreten einer Schädigung gefordert. Dies hat der Senat in einer Entscheidung über die Aufklärungspflichtverletzung eines Arztes bei Telekobaltbestrahlung bestätigt und festgestellt, dass eine Aufklärungsplicht auch nicht aufgrund der „spezifischen Gefahren“ der Strahlentherapie bestand. Aus den in den Entscheidungsgründen dargestellten Grundsätzen lässt sich ableiten, dass ein Patient über die allenfalls theoretisch denkbaren Strahlenschäden, die er aufgrund einer einzeln durchgeführten Röntgenaufnahme erleiden könnte, auch nach zivilrechtlichen Grundsätzen nicht aufzuklären ist. In einer weiteren Entscheidung stellte der BGH klar, dass

„die einmalige, kurzzeitige oder nur gelegentlich wiederholte ordnungsgemäße Anwendung von Röntgenstrahlen […] in der Regel noch nicht als Körperverletzung zu beurteilen sein [mag].“[15]

Für die Aufklärung besteht daher nur dann eine Notwendigkeit, wenn durch die ärztliche Maßnahme ein Körper- oder Gesundheitsschaden des Patienten überhaupt kausal begründet werden kann. Derartige Kausalfeststellungen sind bei einem einmaligen Röntgen nicht feststellbar, zumal es keine Dosisgrenzwerte gibt, da die Strahlenanwendung nicht nur ein Risiko, sondern auch einen medizinischen Nutzen bringt.[16] Einen Kausalzusammenhang hat der BGH dort angenommen, wo der Arzt „in zahlreichen Fällen Patienten in exzessiver Weise geröntgt“ und für diese Röntgenuntersuchungen keine medizinische Indikation bestanden hat.[17] Aus der Feststellung, dass die zugrundeliegende einzelne Röntgenuntersuchung zu einer derart geringen Zusatzbelastung führt, diese aber einen Mehrwert für den Patienten haben und hierdurch kein kausaler Körper- oder Gesundheitsschaden begründet werden kann, folgt, dass im Grundsatz keine Aufklärung über eine solche Untersuchung erforderlich ist.

Soweit man dieser Auffassung folgt, besteht keine grundsätzliche zivilrechtliche Pflicht des Radiologen, den Patienten mündlich über das Risiko der Anwendung ionisierender Strahlung vor der Durchführung einer einzelnen, indizierten Röntgenaufnahme im Rahmen des § 630e BGB aufzuklären. Dies gilt damit erst recht für die Durchführung einer MRT-Untersuchung, da diese nicht mittels ionisierender Strahlung, sondern unter Anwendung von Magnetfeldern erfolgt. Die mangelnde Aufklärungsverpflichtung gilt daher ebenso für die Befundungsleistung der App, da diese keine eigene Eingriffsqualität besitzt.

2.             Therapeutische Sicherungsaufklärung gemäß § 630c Abs. 2 BGB

In § 630c BGB sind weitere Informationspflichten des Behandlers normiert. Gemäß § 630c Abs. 2 BGB ist der Behandelnde verpflichtet, dem Patienten in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen.

Diese sog. therapeutische Sicherungsaufklärung[18] entspricht zwar inhaltlich der Selbstbestimmungsaufklärung nach § 630e BGB, unterscheidet sich allerdings funktional von dieser. Im Gegensatz zur Selbstbestimmungsaufklärung, die primär dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten dient und die Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung in den körperlichen Eingriff darstellt, dient die therapeutische Aufklärung in erster Linie der Sicherung des Behandlungserfolgs.

Bei den Informationspflichten im Rahmen der therapeutischen Aufklärung nach § 630c Abs. 2 BGB sind insbesondere bei der Durchführung von privatärztlichen Leistungen gegenüber GKV-Patienten (sog. IGeL-Leistungen) weitere ungeschriebene Aufklärungspflichten zu beachten, die sich aus deren Rechtsnatur ergeben. Ergänzend zur den in § 630c Abs. 2 BGB normierten Informationspflichten sollte die Aufklärung über IGeL-Leistungen insbesondere die Begründung umfassen, weshalb diese nicht nur als medizinisch empfehlenswert, sondern auch als medizinisch zweckmäßig erachtet werden, obwohl diese nicht im GKV-Leistungskatalog enthalten sind.

3.             Wirtschaftliche Aufklärung gemäß § 630c Abs. 3 BGB

Insbesondere im Rahmen der Erbringung privatärztlicher Leistungen gegenüber GKV-Versicherten, die nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sind (sog. IGeL-Leistungen) ist auch die wirtschaftliche Aufklärung des Patienten nach § 630c Abs. 3 BGB zu beachten. Soweit es sich um eine privatärztliche Leistung handelt, der Patient die Behandlungskosten somit selbst zu tragen hat, ist der Behandler verpflichtet, den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung zu informieren. Dies gilt gleichermaßen für GKV-Patienten als auch Privatpatienten.

4.             Form der wirtschaftlichen Aufklärung

Die wirtschaftliche Aufklärung gemäß § 630c Abs. 3 BGB erfordert zunächst nach ihrem gesetzlichen Wortlaut die Textform, regelt aber zugleich, dass weitergehende Formanforderungen aus anderen Vorschriften unberührt bleiben. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere die folgenden Vorschriften (Hervorhebungen durch Verfasser):

§ 12 Abs. 5 MBO-Ä regelt:

„Vor dem Erbringen von Leistungen, deren Kosten erkennbar nicht von einer Krankenversicherung oder von einem anderen Kostenträger erstattet werden, müssen Ärztinnen und Ärzte die Patientinnen und Patienten schriftlich über die Höhe des nach der GOÄ zu berechnenden voraussichtlichen Honorars sowie darüber informieren, dass ein Anspruch auf Übernahme der Kosten durch eine Krankenversicherung oder einen anderen Kostenträger nicht gegeben oder nicht sicher ist.“

§ 3 Abs. 1 S. 3 BMV-Ä regelt für Leistungen außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung:

„Leistungen, für die eine Leistungspflicht der Krankenkassen nicht besteht, können nur im Rahmen einer Privatbehandlung erbracht werden, über die mit dem Versicherten vor Beginn der Behandlung ein schriftlicher Behandlungsvertrag abgeschlossen werden muss.“

§ 18 Abs. 8 S. 3 Nr. 3 BMV-Ä bestimmt überdies:

„Der Vertragsarzt darf von einem Versicherten eine Vergütung nur fordern,

3. wenn für Leistungen, die nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sind, vorher die schriftliche Zustimmung des Versicherten eingeholt und dieser auf die Pflicht zur Übernahme der Kosten hingewiesen wurde.“

Zusammenfassend ist danach festzuhalten, dass der GKV-Patient vor der Erbringung privatärztlicher Leistungen über die voraussichtlichen Kosten informiert und mit ihm ein Behandlungsvertrag abgeschlossen werden muss. Hinsichtlich der Formerfordernisse – schriftlich oder in Textform – unterscheiden sich die einzelnen Vorschriften.

Während für die wirtschaftliche Aufklärung gemäß § 630 Abs. 3 BGB eine Information in Textform genügt, ist gemäß § 12 Abs. 5 MBO-Ä der Patient schriftlich zu informieren. Von Bedeutung ist dabei, ob hierbei berufsrechtlich die zivilrechtliche Schriftform gem. § 126 Abs. 1 und 2 BGB angesprochen wird und welche Folgerungen hieraus zu ziehen sind. Eine definitive Aussage darüber, ob die Berufspflicht aus § 12 Abs. 5 MBO-Ä die zivilrechtliche Schriftform fordert, lässt sich ihrem Wortlaut nach indes nicht treffen.

Die MBO-Ä hat zur Fassung des § 12 Abs. 5 MBO-Ä die Entschließung des 109. Deutschen Ärztetages übernommen, wonach davon auszugehen ist, dass „schriftlich“ gem. § 12 Abs. 5 MBO-Ä die zivilrechtliche Schriftform des § 126 Abs. 1 BGB meint. Denn die Entschließung des 109. Deutschen Ärztetages war der Auffassung, dass ein schriftlicher Behandlungsvertrag auch in Fällen geschlossen werden sollte, in denen er zwingend vorgeschrieben ist. Zu beachten ist aber, dass § 12 Abs. 5 MBO-Ä nur die schriftliche Information, mithin eine einseitige Erklärung des Arztes, und keinen zweiseitigen Vertrag fordert. Die ausschließlich für Verträge geltende Sondervorschrift des § 126 Abs. 2 BGB findet in diesem Fall mithin keine Anwendung. Es gilt insoweit die Regelung der Grundvorschrift des § 126 Abs. 1 BGB:

„Ist durch Gesetz schriftliche Form vorgeschrieben, so muss die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden.“

Dagegen fordert die sozialrechtliche Vorschrift des § 3 Abs. 1 S. 3 BMV-Ä jedoch ausdrücklich einen schriftlichen Behandlungsvertrag. Voraussetzung dafür, dass der Vertragsarzt für Leistungen, die nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sind, eine Vergütung fordern darf, ist, dass er den Versicherten auf die Pflicht zur Übernahme der Kosten hingewiesen und mit ihm vor Beginn der Behandlung einen schriftlichen Behandlungsvertrag abgeschlossen hat.[19] Weitere Voraussetzung für die Privatliquidation ist die vorherige Einholung einer schriftlichen Zustimmungserklärung des Versicherten. Danach ist ein schriftlicher Behandlungsvertrag abzuschließen.[20]

Auch die Begründung zum Gesetzentwurf des Patientenrechtegesetzes vom 15.08.2012[21] geht davon aus, dass ein schriftlicher Behandlungsvertrag i. S. d. § 3 Abs. 1 S. 1 BMV-Ä ein „Mehr“ als die zivilrechtliche Textform darstellt, indem dort zu § 630c Abs. 3 S. 2 BGB folgendes ausgeführt wird:

„Absatz 3 Satz 2 stellt schließlich klar, dass über das Textformerfordernis hinausgehende Formanforderungen aus anderen Vorschriften, z. B. nach § 17 Absatz 2 des Krankenhausentgeltgesetzes oder bei gesetzlich Krankenversicherten nach § 3 Absatz 1 und § 18 Nummer 8 des Bundesmantelvertrags-Ärzte für Leistungen außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung, unberührt bleiben.“

Um eine Nichtigkeit der Vergütungsabrede zu verhindern, sollte aufgrund der berufs- und sozialrechtlichen Vorgaben daher die strenge zivilrechtlichen Schriftform des § 126 Abs. 1 und 2 BGB eingehalten werden. Im Rahmen dieses schriftlichen Behandlungsvertrages kann die Informationspflicht aus § 12 Abs. 5 MBO-Ä und § 630c Abs. 3 BGB sowie die Information zur therapeutischen Sicherungsaufklärung gemäß § 630c Abs. 2 BGB mit erfüllt werden.

IV.        Abrechnungsmöglichkeiten nach der Gebührenordnung für Ärzte

Die Pflicht eines Patienten zur Vergütung ärztlicher Behandlungsleistungen ergibt sich aus          § 630a Abs. 1 BGB. Die Höhe der Vergütung und die Abrechnungsmodalitäten der Leistung im ambulanten Bereich erfolgen auf Grundlage der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Gemäß § 1 Abs. 1 GOÄ bestimmen sich die beruflichen Leistungen der Ärzte nach dieser Verordnung, soweit nicht durch Bundesgesetz etwas anderes bestimmt ist. Daraus ergibt sich, dass die GOÄ auch für alle privatärztlichen Leistungen gegenüber GKV-Patienten zur Anwendung kommt. Da die Leistungen KI-basierter Softwareapplikation derzeit nicht Bestandteil des Leistungskatalogs der GKV sind, stellen diese eine privatärztliche Leistung dar.

1.             Abrechenbarkeit in der Magnetresonanztomographie

Die konkrete Abrechnungsmöglichkeiten KI-basierter Softwareapplikationen werden nachfolgend exemplarisch am Beispiel der Anwendung im Rahmen von MRT-Aufnahmen der Wirbelsäule dargestellt.

Die Magnetresonanztomographie im Bereich der Wirbelsäule in zwei Projektionen kann nach der Gebührenziffer 5705 GOÄ abgerechnet werden. Sie ist je Sitzung nur einmal berechnungsfähig.

Ergänzend zu dieser Hauptleistung ist nach der Gebührenziffer 5733 GOÄ die Berechnung eines Zuschlages für eine computergesteuerte Analyse (z.B. Kinetik, 3D-Rekonstruktion) möglich. Sie ist je Sitzung nur einmal, sowie auch nur mit einem einfachen Gebührensatz abrechnungsfähig.

Um die Leistung einer KI-basierten App über die Zuschlagsziffer 5733 GOÄ abrechnen zu können, müsste es sich um eine computergestützte Analyse handeln. Beispielhaft aufgezählt sind die Kinetik und die 3D-Rekonstruktion. Die computergesteuerte Analyse setzt die Durchführung von Rechenprozessen voraus, deren Ergebnisse diagnostische, relevante Daten erwarten lassen. Die Aufarbeitung und Auswertung der erhobenen Datensätze erfolgen durch den befundenden Arzt. Die computergesteuerte Analyse geht über die in der Hauptleistung inbegriffene Befundung dadurch hinaus, dass metrische Werte erhoben und spezielle Betrachtungen erfolgen, indem durch Software bereitgestellte Leistungen eingesetzt werden.

Bei einer KI-basierten App handelt es sich um ein auf maschinellem Lernen basierendes, computergestütztes Diagnosesystem. Sie ermöglicht eine Bilderkennung und eine anschließende Segmentierung des Bildes in mehrere Schichten. Basierend auf diesen Schichten werden unterschiedliche Merkmale extrahiert und basierend auf diesen erfolgt eine Klassifizierung der Aufnahmen hinsichtlich gut- oder bösartiger Segmente in einer farblichen Darstellung.[22]

Unter Zugrundlegung dieser Funktionsweise der App ist davon auszugehen, dass es sich bei deren Leistung um eine computergestützte Analyse von Aufnahmen handelt. Die Auswertung und Diagnosestellung erfolgen durch den befundenden Radiologen. Da die Kinetik und 3D-Rekonstruktion hier nur beispielhaft aufgezählt sind, ist folglich davon auszugehen, dass die computergestützte Analyse auch mittels KI-basierter Software erfolgen kann und diese Leistung mithilfe der Zuschlagsziffer 5733 GOÄ zusätzlich zur Hauptleistung nach der Gebührenziffer 5705 GOÄ abgerechnet werden kann.

Selbst für den Fall, dass eine direkte Abrechnung nicht in Betracht kommen sollte, kann die Leistung analog abgerechnet werden. Gemäß § 6 Abs. 2 GOÄ kann die Leistung entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden. Eine gleichwertige Leistung i. S. d. § 6 Abs. 2 GOÄ liegt nach der Rechtsprechung[23] dann vor, wenn der einen Leistung der gleiche Wert beigemessen werden kann wie der anderen Leistung. Bei der Vergleichbarkeit der Art der Leistung steht das Ziel der Leistung oder der Ablauf der Behandlung im Vordergrund. Gleichrangig sind hierzu der Zeit- und Kostenaufwand zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass die Analogleistung und die Vergleichsleistung durch vergleichbaren Aufwand an Geräte- und Materialkosten gekennzeichnet und vom durchschnittlichen Arzt in annähernd gleicher Zeit zu erbringen sein müssen.

Die computergestützte Analyse erfordert die Durchführung von Rechenprozessen, deren Ergebnisse diagnostisch relevante Daten erwarten lassen.[24] Sie setzt zwar die Auswertung der erhobenen Datensätze durch den befundendenden Arzt voraus, der Leistungsinhalt des Zuschlags wird jedoch nicht allein schon durch die herkömmliche Befundung der Aufnahmen am Monitor erfüllt. Eine KI-basierte App wertet die MRT-Aufnahmen ebenfalls aus und visualisiert im Anschluss für die Diagnostik relevante Ergebnisse. Ziel der Leistung und Ablauf der Behandlung sind somit nahezu identisch. Die Auswertung basiert zwar auf Machine-Learning-Methoden, ist aber in ihrer Art mit der computergestützten Analyse vergleichbar und bietet ebenso einen Mehrwert zur üblichen Monitorbefundung. Ein vergleichbarer Kosten- und Zeitaufwand dürfte ebenfalls zu bejahen sein.

Eine Abrechnung der Leistung einer KI-basierten App dürfte folglich nach der Gebührenziffer 5733 GOÄ direkt oder zumindest analog mit einem einfachen Gebührensatz i. H. v. 46,63 Euro abgerechnet werden können. Die Rechnungsstellung hat dabei den Vorgaben des § 12 GOÄ zu entsprechen.

V.           Fazit

KI-basierte Softwareapplikationen in der radiologischen Diagnostik sind in der ambulanten Versorgung derzeit noch nicht Bestandteil des Leistungskataloges der GKV nach den §§ 11 ff. SGB V und damit nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung gemäß §§ 72 ff. SGB V. Diese Leistungen könne daher nur privatärztlich erbracht und über die GOÄ gegenüber dem Patienten abgerechnet werden.

Um eine Einbeziehung der KI-basierten Softwareapplikationen in den Leistungskatalog zu erreichen, können die Hersteller einen Antrag auf Erprobung beim GB-A stellen. Gemäß § 137e Abs. 7 SGB V besteht für Hersteller eines Medizinproduktes die Möglichkeit, auf dessen Einsatz die technische Anwendung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode maßgeblich beruht, einen Antrag auf Erprobung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode beim G-BA zu stellen.[25] Durch die Erprobungsstudie kann der Nutzen der neuen Methode belegt werden. Eine Erprobung kann dabei ein Zwischenergebnis in einer laufenden Bewertung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode oder unabhängig von einem Bewertungsverfahren sein. Beschließt in diesem Fall der G-BA eine Erprobung, entscheidet er im Anschluss an die Erprobung auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse unverzüglich über eine Richtlinie nach § 135 SGB V. Damit würde die KI-Leistung auch Einzug in die ambulante vertragsärztliche Versorgung und Aufnahme in den EBM finden.

DOI: 10.13154/294-10190

ISSN: 2940-3170

[1] BSG, Urt. V. 09.12.1997, Az. 9 RK 23/95 – juris-, Rn. 13.

[2] Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2022, § 2 Rn. 68.

[3] Kircher, in: Becker/Kingreen, SGB V, 2022, § 33a Rn. 12.

[4] BSG, Urt. v. 25.11.2020, Az.: B 6 KA 14/19 R – juris-, Rn. 18.

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Medizinische Untersuchung.

[6] BSG, Urt. v. 25.11.2020, Az.: B 6 KA 14/19 R – juris -, Rn. 18.

[7] Kölner Kommentar zum EBM, 15. Stand: 01.01.2019, Rn. 24.2.

[8] Vgl. oben Ziff. II. 2. a).

[9] BSG, Urt. v. 09.11.2006, Az.: B 10 KR 3/06 B – juris -, Rn. 24; BSG, Urt. v. 30.1.2002, Az.: B 6 KA 73/00 R – juris -, Rn. 24.

[10] Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen, SGB V, 2020, § 135 Rn. 7.

[11] VerfO in der Fassung vom 18.12.2008, zuletzt geändert am 20.10.2022, BAnz AT 03.02.2023 B3, abrufbar unter: https://www.g-ba.de/richtlinien/42/.

[12] Zu IGeL-Leistungen in der Radiologie, vgl. Wigge/Dieckmann, in: Fortschr Röntgenstr 2022, 1162-1167.

[13] Vgl. Wigge/Loose, in: Fortschr Röntgenstr 2016, 218, 220.

[14] BGH NJW 1990, 1528, 1529.

[15] BGH MedR 1998, 326, 329.

[16] Wigge/Loose, in: Fortschr Röntgenstr 2016, 218, 220.

[17] BGH MedR 1998, 326, 329; Das Erfordernis einer Abwägung wurde auch durch ein neueres Urteil des AG Paderborn v. 15.03.2019, Az. 58a C 155/17 – juris –, Rn. 26 bestätigt.

[18] Gutmann, in: Staudinger, BGB 2021, § 630c, Rn. 1.

[19] Schiller, Bundesmantelvertrag Ärzte, 2021, § 3 Rn. 5.

[20] Schiller, Bundesmantelvertrag Ärzte, 2021, § 18, Rn. 33.

[21] BT-Drs. 17/10488, S. 22.

[22] https://www.atlas-digitale-gesundheitswirtschaft.de/computergestuetzte-befundung-im-kontext-der-magnetresonanztomographie.

[23] OLG Braunschweig, Urt. v. 05.04.2018, Az. 11 U 37/17.

[24] Brück/Klakow-Franck, Kommentar zur GOÄ, 2012, 1204.76.

[25] http://www.g-ba.de/richtlinien/anlage/172.

2 Antworten zu „KI-basierte Medizinprodukte in der Radiologie“

  1. Ich höre auch regelmäßig, dass KI in verschiedenen Bereichen eingesetzt wird. Wenn sie die Effizienz im Gesundheitswesen verbessern kann, ist das eine gute Innovation. Ich bin neugierig auf die Ergebnisse der aktuellen Studien.

  2. Sehr sinnvoll! Danke für diesen spannenden Beitrag!

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